Sonntag, 28. Juni 2009

Besessenheit in weiteren Kurzgeschichten Philip K. Dicks (1)

Warum diese Kurzgeschichten?

Die erste Kurzgeschichte „Foster, du bist tot“ habe ich ausgewählt, da sie, für mich, klar zeigt, dass Besessenheit bez. Anzeichen von dämonischer Besessenheit im übertragenen Sinne auch in einer modernen Welt, wie der des Si-Fi zu finden sind. Zwar handelt es sich bei dieser Geschichte dabei sehr um Institutionen und gesellschaftliche Normen, doch bleibt die Wirkung auf den Besessenen durchaus dieselbe.

„Menschlich ist…“ hingegen steht deutlich in dem Motiv der Besessenheit, wobei es von dem üblichen Schema F einer Besessenheitsgeschichte deutlich abweicht und dabei die Motive des „bösen Geists“ näher beleuchtet womit dieser erstaunlich menschlich wirkt. Da es somit an „Und Jenseits…das Wobb“ erinnert, aber in dieser Hinsucht wesentlich deutlicher wird, habe ich sie dazu genommen.

Foster, du bist tot

Dass sich Besessenheit bei dieser Kurzgeschichte finden lässt, führe ich auch auf die näheren sozialen Umstände Mikes zurück. Er wünscht sich einen Bunker, damit er – wie die anderen Kinder – einen sicheren Ort hat. Zudem scheint die ganze Werbung darauf getrimmt zu sein, den Leuten zu vermitteln, dass sie ständig bedroht sind und deshalb ständig für ihre Sicherheit sorgen müssen. Das wird unter anderem deutlich, wenn Bob Foster über die Werbemaschen redet:
„Sie haben immer gesagt, man verkauft etwas, wenn man Angst in den Menschen weckt. (…) Wenn du nicht kaufst, werden sie dich töten. Die perfekte Verkaufsmasche. Erwerben oder sterben – neuer Slogan.“ i.
Mike als Kind kann sich kaum gegen diese Werbemaschen wehren und lässt sich von der Kriegshysterie schnell anstecken.

Er ist ein Außenseiter. Sein Vater ist ein Anti - B und hat nicht mal die NATS unterstützt. Sie haben keinen Bunker und zahlen auch nicht dafür, dass Foster den Schulbunker benützen dürfte, falls ein Krieg beginnen sollte und sich der Junge zu dem Zeitpunkt in der Schule befindet.

Somit läuft das wohl natürliche Bedürfnis, dazuzugehören bei Mikes Angst mit der Angst zu Sterben zusammen.

Letztlich ist er so besessen von dem Gedanken, einen Bunker besitzen zu müssen, dass er nicht nur sagt, dass er jede Nacht im Bunker schlafen würde, wenn sie einen hätten, sondern es letztlich auch tut, als Bob Foster dem Wunsch nach dem Bunker letztlich doch nachkommt. Er wird aufgenommen in die Schulgemeinschaft, hat plötzlich Selbstvertrauen, lädt Klassenkameraden zu sich ein und genießt das Wohlwollen seiner Lehrerin, die treffend feststellt:
„Jetzt bist du ein Pro - B, nur dass es so einen Ausdruck nicht gibt. Du bist einfach – so wie alle anderen.“ ii.
Der tiefe Fall kommt, als der Bunker verkauft wird und Mike das feststellt. Seine Reaktion, nämlich den Bunker im Geschäft aufzusuchen und diesen nicht mehr verlassen zu wollen, sodass er aus dem Laden getragen wird, veranlasst einen der Verkäufer zu der Bemerkung, dass mit dem Jungen was nicht stimmt. iii.

Als er schließlich aus dem Laden vertrieben wird und er einsehen muss, dass sein Wunsch nach Sicherheit nicht gestillt werden kann ist er
(…)geistesabwesend, sein Kopf leer und tot.“ iv.
Weiter heißt es:
„Er ging willenlos, ohne Bewusstsein oder Gefühl.“ v.
War er noch eben erfüllt von verschiedenen Emotionen – allen voran Angst, da er ja keine Bunker mehr hat in den er sich verkriechen kann, scheint er nun völlig leer zu sein. Als sei er exorziert worden, ist der Zustand der Besessenheit, der Zustand voller Angst, vorbei. Dadurch, dass sein Sicherheitsbedürfnis endgültig zerschmettert wurde, wurde er quasi „erlöst“, auch wenn er das so nicht wahrnimmt.

Wie im Thesenblatt schon festgestellt, kann die Beseelung eines sehr starken Gefühls schon von Außenstehenden als Art von Besessenheit angesehen werden.

Mike ist besessen von seiner Angst. Diese sorgt dafür, dass er nur die Gefahr sieht, in der er schweben könnte und sein einziges Ziel ist es, sich selbst zu schützen. Der Zustand der Angst und das Verlangen nach Sicherheit in Form des Bunkers sind unbewusst selbst gewählt (unbewusst, da Kinder nicht sonderlich viel über sich selbst und ihre Handlungen reflektieren können/wollen) und er empfindet ihn nicht als Belastung.

Eine Belastung ist es für ihn, dass sein Bedürfnis nach Sicherheit nicht gestillt wird und nicht, dass es überhaupt existiert. Die Fremdsteuerung, die viele Besessene erleben, erfolgt bei Mike durch die Werbung und sein soziales Umfeld. Beides prägt ihn und nur darauf hört er. Die durchaus logischen Einwände seines Vaters gegen einen Bunker finden bei ihm kein Gehör. Seine Erklärung, warum der Bunker später weg ist, wird von ihm teilnahmslos hingenommen und scheinbar nicht weiter beachtet. Es erfolgt keine Einsicht, kein Verständnis, kein Aufgeben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ganze Werbeindustrie als auch das soziale Umfeld in ihrer Kombination nichts andere als eine Art Besessenheit oder auch Sucht (wobei das eine mit dem anderen gerne Hand in Hand geht) zulassen. Gerade Mike als Kind kann sich kaum dagegen wehren. Wenn er dazugehören möchte, muss er einen Bunker haben. Da er keinen hat, beschäftigt er sich so sehr mit diesem in Gedanken, dass für nichts anderes mehr Platz ist.

Menschlich ist…

Viel deutlicher wird die Besessenheit in der Kurzgeschichte „menschlich ist…“ in der allerdings der Zustand der Besessenheit durch die Inkorporation Lesters nicht negativ dargestellt wird.

Lester wird bei einem Besuch des Planeten Rexor IV innerlich quasi ausgetauscht.
„Die psychischen Originalinhalte werden entfernt und gelagert – eine Art einstweilige Außerkraftsetzung. Im gleichen Augenblick werden die Ersatzinhalte eingefügt.“ vi.
Doch anstatt des Feindes, der die Inkorporation ausnutzt, um kriegerische Vorteile zu erlangen, geschieht dies in dieser Kurzgeschichte aus purer Not. Die Bewohner wollen von dem Planeten fliehen, dürfen aber nicht. Diese Art der Besitznahme eines anderen Körpers ist ihre einzige Chance auf ein besseres Leben und der Zusammenhalt der Rexorianer scheint dabei nicht zu existieren.

Anstatt Jill zu raten Rexor IV zu besuchen, damit sie dort vielleicht ebenfalls einen Artgenossen in sich aufnehmen kann, rät er ihr strikt davon ab. Er handelt in seinem eigenen Interesse, kreiert neue Gerichte, spielt mit Gus, umwirbt Jill etc.

Er ist keine Bedrohung und wird selbst von Frank eher wie ein lästiges Insekt behandelt, denn als Start einer Invasion. So wird später davon geredet, dass die Rexorianer „auswandern“ wollen. vii.

Dies und die Angabe, dass die Rexorianer eh nicht mehr weit verbreitet sind lassen auf eine vollkommen andere Grundsituation schließen. Die Rexorianer sind quasi Insekten, die nur erwischt werden müssen. Sie sind den Menschen zahlenmäßig unterlegen und stellen somit anscheinend absolut keine Bedrohung für sie da.

Ein weiterer Beleg für die tatsächliche Besessenheit durch eine Art Geist ist auch im Text zu finden. So erklärt Frank Jill:
„Lester ist nichts ahnend dort eingetroffen - und dieses Ding hat ihn verdrängt und seinen Körper übernommen.“ viii.
Der einzige Unterschied ist, dass es sich bei dem neuen Lester um keinen bösen Geist oder Dämon handelt sondern um ein fremdartiges Wesen, das lediglich ein besseres Leben für sich wollte.

Da der Original - Lester eh nicht beliebt bei Jill war ist es vielleicht auch am ehesten zu verstehen, dass sie die Veränderung als solche belassen will und dafür sorgt, dass der besessene Lester mit ihr zurück nach Hause darf. Somit wird auch der typische Besessenheits- Plot, wie er beispielsweise in „The Father - Thing“ zu finden ist, umgangen.


Quellen:
i. Dick, Philipp K., "Foster, du bist tot". Ein unmöglicher Planet, München: Heyne 62002 S. 331
ii. ebd. S. 329
iii. ebd. S. 337
iv. ebd. S. 338
v. ebd. S. 338
vi. Dick, Philip K, „Menschlich ist…“. Ein unmöglicher Planet, München: Heyne 62002 S. 231
vii. ebd. S. 233
viii. ebd. S. 234

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