Montag, 29. Juni 2009

EXORZISMUS

"Fugite partes adversae" — "Flieht ihr diabolischen Kräfte!"

Als Exorzismus (griech. exorkizein = Dämonen vertreiben) bezeichnet man in den Religionen das Austreiben eines Dämons oder Satans aus Orten, Tieren, Dingen, insbesondere aber aus Menschen durch einen Exorzisten.
Im sogenannten Rituale Romanum, einem liturgischen Buch über die Riten und Vorschriften für die Spendung der Sakramente, beschrieb Papst Paul V im Jahre 1614 die Praxis des Großen Exorzismus.
Allerdings enthielt diese erste öffentliche Kundmachung vor allem Informationen zu dem damals ohnehin längst eingebürgertem Exorzismus in Form der Taufe; dabei handelt es sich im Übrigen um einen kleinen Exorzismus.
Erst im letzten Kapitel „Wie man vom Dämon besessene exorzieren soll“ („De exorcizandis obsessis a daemonia“) kam schließlich der „Große Exorzismus“ zur Sprache. Seit 1614 wurde das Rituale Romanum noch mehrfach überarbeitet, der Aufbau des Austreibungsgebets hat sich im Grunde aber nicht verändert:

Eröffnung: Allerheiligenlitanei - Pater noster Psalm 54 - Kreuzeszeichen - Salutatio - Gebet zur Eröffnung - Gebet gegen den Teufel - Anrede an den Teufel
1.Hauptteil: Wortgottesdienst: 4 Lesungen aus dem Evangelium
2.Hauptteil: Exorzismus: Salutatio - Vorbereitungsgebet, an Christus gerichtet - Gebet: Anrufung des Namen Gottes - 1. Exorzismus -Salutatio - Gebet (um Schutz und Stärkung des Besessenen) - 2. Exorzismus - Salutatio - Gebet (unterschiedliche Inhalte: Heilige, Schöpfer) - 3. Exorzismus (wird nach Bedarf wiederholt) -Pater noster, Ave Maria (Psalmen alsmögliche zusätzliche Gebete)
Schlussteil: Gebet um Befreiung

Ein erfolgreicher Exorzismus kann lediglich ein paar Stunden dauern, in einigen schwerwiegenderen Fällen (wie es scheint, können auch Dämonen unterschiedlich beharrlich sein) aber auch bis zu 14 Jahren.
"Die Dämonen sind persönliche Wesen, weil sie Freiheit und Willen besitzen. Sie sind geistige Wesen, reine Geister, weil sie keine Seele und keinen Leib haben wie der Mensch. Darum benützen sie manchmal den Körper der Menschen."
- Pater Amorth

Schon in der Bibel ist die Sprache von Christus, der der Kirche die Autorität verlieh Satan auszutreiben.
Zuallererst vermachte Jesus den Zwölf, dann den 72 Jüngern diese Macht, um es schließlich auf alle Gläubigen auszuweiten. In seinem Namen sollten Dämonen ausgetrieben werden.
Heute allerdings darf ein Exorzismus lediglich von einem Priester durchgeführt werden, der die Erlaubnis seines Bischofs haben muss, welcher wiederum die Autorisierung des Ortsbischofs einholen muss. Von Vorteil wäre auch das Studium der Traktate über die Dämonologie und ein sündenfreies Leben.
Das heißt jedoch nicht, dass Gläubige (also Getaufte) keine Befreiungsgebete sprechen dürfen, sie benötigen dazu gütigerweise nicht einmal eine Erlaubnis des Bischofs. Sie dienen im Grunde demselben Zweck wie der Große Exorzismus, nämlich der Austreibung Satans. Da das Befreiungsgebet aber privat und nicht öffentlich im Namen der Kirche ausgesprochen wird, verliert es an Wirksamkeit.
Heutzutage werden immer noch Exorzisten ausgebildet, allein in Italien handelte es sich um ungefähr 200 Priester pro Jahr, wobei Papst Benedikt XVI vor Kurzem ankündigte 3000 neue Exorzisten ausbilden zu lassen.
Obwohl vor einem Exorzismus hinreichend Fachkräfte in Form von Ärzten oder Psychologen zu Rate gezogen werden müssen, gibt es immer noch genügend wilde Exorzismen, bei denen keine Genehmigung eingeholt wird.
Die Folgen sind oft fatal. Wie beispielsweise im Fall der 23- Jährigen Nonne Maricica Cornici, die vor einigen Jahren im Rahmen eines nicht beaufsichtigten Exorzismus an einem Kreuz hängend zu Tode kam. Und das in einer Zeit, wo für die meisten Menschen Religion in etwa so viel Stellenwert hat wie ein abgewetztes Paar Stiefel, das nur bei Unwetter hervorgeholt, aus nostalgischen Gründen aber niemals entsorgt wird.
Dieses Beispiel veranschaulicht das Bedürfnis der Menschen sich vor allem in Zeiten der Not der Religion zuzuwenden.
Oder aber auch die Schwierigkeit jedes Einzelnen mit sich selbst, den beängstigenden Kampf, den man beizeiten mit sich selbst auszutragen hat. Denn wenn man sich selbst nicht (ver)trauen kann, wem dann?
Manchmal ist es da einfacher, einen Dämon für die eigenen verhassten Gelüste, für die fremden Gefühle und inneren Konflikte, die man selbst nicht begreifen kann, verantwortlich zu machen. Auf diese Weise schafft man ein eigenständiges Wesen, kapselt es von der eigenen Person ab, lässt es sich als pure Ausgeburt des Bösen manifestieren. Diese Abspaltung erlaubt es Menschen, gegen die eigene Krankheit anzukämpfen.
Das ist eine mögliche Erklärung. Eine andere lautet, dass Satan Besitz vom Menschen ergriffen hat. Oder ein Dämon.
Welche Erklärung man nun auch bevorzugen möchte, im Grunde ist es vollkommen gleichgültig. Denn ob ein Exorzismus wirkt aus Autosuggestion oder weil Satan beschlossen hat, dass er seine selbst ernannte Festung leid hat, macht keinen wirklichen Unterschied. Solange er von Erfolg gekrönt ist.

Im Übrigen steht der Exorzismus erst an siebenter Stelle als Befreiung eines Menschen von einem dämonischen Geist.
Folgende Maßnahmen werden von der Kirche im Kampf gegen den Teufel dringend empfohlen:

* Beichte
* Heilige Messe
* Eucharistische Anbetung
* Kommunion
* Täglicher Kirchenbesuch

Ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview mit Pater Don Gabriele Amorth, einem der bekanntesten Exorzisten der heutigen Zeit:

FACTS: Gibt es heute noch viele Besessene?

Amorth: Die Verführungen sind groß, denn der Glaube ist nicht mehr stark vertreten. In Italien gehen nur 10 Prozent der Bevölkerung in die Kirche. Die restlichen 90 Prozent sind gefährdet, irgendwelchen Magiern, Kartenlesern oder dem Satanisten-Boom zu verfallen. 37 Prozent der italienischen Jugendlichen nehmen an spiritistischen Sitzungen teil, an denen sie mit Toten zu kommunizieren versuchen. Viele hören satanischen Rock von Marilyn Manson. Das sind gefährliche Momente, in denen der Dämon Besitz vom Menschen ergreifen kann.

FACTS: Ist der Rocker Marilyn Manson vom Teufel besessen?

Amorth: Aber sicher! Und wie!

FACTS: Haben Sie ihn getroffen?

Amorth: Nein, aber ich habe seine Texte gelesen. Sie sind voller sublimer Nachrichten, wenn man sie rückwärts liest. Sie verherrlichen Satan, «Du bist mein Gott», heisst es da. Sie verherrlichen den Selbstmord und plädieren für eine Welt ohne Moral.

FACTS: Wer verführt uns noch?

Amorth: Harry Potter. Er verführt zur Magie.

FACTS: Waren Hitler und Stalin auch vom Teufel besessen?

Amorth: Sicher waren sie das. Der ganze Nationalsozialismus stand unter dem Einfluss des Teufels. Der Dämon hat Hitler suggeriert, was zu tun ist. Auch Marx war vom Teufel besessen.


Quellen:
* http://web246m.dynamic-kunden.ch/maria/besessenheit.html
* Heike R., Von der Besessenheit zum Glauben, Books on demand 2009
* Amorth, Gabriele, Exorzisten und Psychiater, übersetzt von Ortner, Reinhold und Maria, Stein am Rhein: Christiana- Verlag 2002


Die Dopplung des Vaters in „The Father-Thing“

Während der Diskussionsrunde über Einverleibung, Besessenheit und Kannibalismus in Philip K. Dicks Werken kam die Frage auf, warum es in der Kurzgeschichte „The Father-Thing“ zu einer Dopplung des Vaters kommt. Warum wird der Körper des Vaters kopiert und die Eingeweide vom "Father-Thing" einverleibt. Logischer wäre doch, die "Hülle" des Vaters zu übernehmen und ihn so zu ersetzen. Eine mögliche Erklärung wäre der von Rita schon kurz erwähnte Ödipuskonflikt, der in dieser Geschichte steckt.

Allgemein haben wir festgestellt, dass die Kurzgeschichte sehr glatt wirkt, eher wie ein Spiel der Kinder. Ihnen werden einzelne Aufgaben gestellt, die sie lösen müssen. So versuchen sie zum Beispiel das Wesen zu finden, das das Father-Thing kontrolliert. Dabei können sie ungestört den Rasen systematisch absuchen.
Auffällig ist auch, dass nur Kinder in die Ereignisse eingeweiht sind. Charles ist hier erst ein achtjähriger Junge, Bobby Daniels wird auf neun geschätzt und auch Tony Peretti scheint noch nicht volljährig zu sein. Zwar ist er wohl älter als die anderen beiden Jungen, da er wohl alt und stark genug sein muss, um jedes Kind in der Nachbarschaft schon verprügelt zu haben.
"A couple of times he had beaten up Charles; he had beaten up every kid in the neighborhood." i.

Dennoch scheint er jung genug zu sein, um vom Father-Thing für ein Kind gehalten zu werden, das eine Waffe als Spielzeug ansieht und das Bestrafung von seinem Vater zu erwarten hat.

"Put down that toy and get out of here. (...) No b.b. guns allowed in town, sonny. Your father know you have that?" ii.

Diese Geschichte wirkt daher eher wie eine Art Detektivroman für kleine Kinder, die sich keinem hohen Risiko aussetzten und nie in wirklich gefährliche Situationen kommen. Warum hat das Father-Thing eigentlich nicht gewartet, bis die anderen Larven auch geschlüpft sind? Seine Chancen gegen die drei Kinder wären damit enorm gestiegen und es hätte wohl nicht so "leicht" vernichtet werden können. Dieser Aspekt könnte dafür sprechen, dass es sich hier eher um eine kindliche Phantasievorstellung oder eine Art Märchen handelt.

Besonders Märchen sind im Zusammenhang mit dem ödipalen Konflikt sehr interessant. Wie Bruno Bettelheim in seinem Buch "Kinder brauchen Märchen" veranschaulicht, überwinden Kinder diese Krise meist, indem sie in Geschichten diese Phantasien ausleben.

Doch zunächst ein Zitat von Bettelheim, das den ödipalen Konflikt einmal genau beschreibt:

"In den Verwicklungen der ödipalen Krise grollt der Junge dem Vater, weil er ihm die ausschließliche Zuwendung der Mutter streitig macht. Der Junge will, die Mutter solle ihn als den größten Helden bewundern; dies bedeutet, daß er den Vater irgendwie aus dem Weg schaffen muß. Allerdings ist diese Vorstellung beängstigend; denn was würde mit der Familie geschehen, wenn der Vater nicht mehr da wäre, um sie zu beschützen und zu versorgen? Und wenn der Vater jemals merken würde, daß sein kleiner Junge ihn beseitigen möchte - würde er sich dann nicht furchtbar rächen?" iii.

Im Märchen übernimmt laut Bettelheim der Vater die Rolle des bösen Widersachers (z.B. in Form eines Drachen) und kann so ohne schlechtes Gewissen von dem Kind, das sich natürlich mit dem Helden identifiziert, umgebracht werden. Übersetzt auf die Kurzgeschichte bedeutet das, dass Charles hier seinen Vater durch ein unmenschliches außerirdisches Wesen ersetzt, das als böse angesehen wird und deswegen vernichtet werden muss (ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu empfinden).

Eine andere Form diese ödipale Phantasie auszuleben ist laut Bettelheim die Ablösung des ursprünglich "guten" Vaters durch einen bösen Stiefvater. (Obwohl diese Ablösung im Märchen meistens in der Rolle der Mutter bzw. Stiefmutter auftaucht.) In Dicks Geschichte findet sich auch dieses Motiv wieder: Das Father-Thing versucht wie ein Stiefvater die Rolle des Vaters im Familienalltag zu übernehmen. Diese Ablösung findet laut Bettelheim deswegen statt, damit das Kind den Vater offen hassen kann, ohne dafür mit Bestrafung rechnen zu müssen. Auch muss es hier die Bewunderung die das Kind für den Vater empfindet nicht aufgeben und der "gute"/ "richtige" Vater kann weiterhin als Vorbild fungieren.

Es ließe sich also die These aufstellen, dass es deswegen zu einer Doppelung des Vaters kommt, damit Charles seine ödipalen Phantasien ohne schlechtes Gewissen ausleben kann. Die Dopplung führt also einerseits zu Aufspaltung in einen "guten" und einen "schlechten" Vater und gibt dem Kind die Legitimation dem Wunsch nachzugehen seinen Vater zu töten. Andererseits wird der Vater auch durch einen nicht menschlichen wohl außerirdischen „Bösewicht“ ersetzt (im Märchen wäre das zum Beispiel ein Drache), wodurch das Kind ohne schlechtes Gewissen den „Vaterersatz“ hassen kann.

Quellen:
i. Dick, Philip K., „The Father-Thing“, The Philip K. Dick Reader, US: Citadel Twilight 2005, S. 104.
ii. ebd. S. 108.
iii. Bettelheim, Bruno, Kinder brauchen Märchen, München 2008, S. 129

Philip K. Dicks „Colony“. Besessenheit und „lebende“ Objekte

Da die Einzeller auf diesem Planeten die Haushaltsgegenstände kopieren bzw. nachahmen besetzen sie die Plätze der „Originale“, aber es kommt nicht zu einer Besessenheit in dem Sinne, dass hier Besitz von einem Körper ergriffen wird oder das eine Übernahme der Körper statt findet. Die organische Lebensform übernimmt hier nur den äußeren Anschein von Alltagsgegenständen und lässt sie „lebendig“ werden, um die Menschen anzugreifen. Während die Alltagsgegenstände selbst noch immer unschuldig und unbeteiligt daneben liegen.

Zu Beginn der Geschichte gehen deswegen die Menschen davon aus, dass die seelenlosen Objekte plötzlich lebendig werden.
„Ordinary objects suddenly turned lethal.“ i.
Dieses Motiv der Beseelung von Gegenständen ist keinesfalls von Dick neu geschaffen, sondern schon aus Werken anderer Autoren bekannt. Sigmund Freud, der ja viele seine Theorien durch literarische Werke untermauert oder von ihm beobachtete Phänomene nach literarischen Vorlagen benennt, hat sich in seinem 1919 veröffentlichten Aussatz „Das Unheimliche“ mit dieser Verlebenigung von Alltagsgegenständen beschäftigt.

Freud und die psychoanalytische Literaturinterpretation

Doch zuvor noch eine Anmerkung zu Freuds literarischem Interesse. 1907 hielt Freud einen Vortrag unter dem Titel „Der Dichter und das Phantasieren“ ii. in den Räumen des Wiener Verlagsbuchhändlers Hugo Heller. In diesem Vortag beschreibt er das Phantasieren des Dichters (also den schöpferischen Akt des Geschichtenerzählens) als eine Ersatzhandlung für den Lustgewinn, den Kindern beim Spielen erfahren. Erwachsene phantasieren, denken sich Geschichten aus und verlieren sich laut Freud in Tagträume, da sie nicht mehr wie Kinder spielen dürfen. Kinder haben demnach die Möglichkeit ihre Wünsche (z.b. den Wunsch des Erwachsenwerdens) frei im Spiel auszuleben. Die Wirklichkeit und das Spiel sind selbst hier für die Kinder klar getrennt, obwohl es sehr Affektbeladen ist und dadurch von den Kindern ernst genommen wird.

Der Erwachsene schämt sich des Phantasierens, weil es als kindisch und unerlaubt bewertet wird und weiß, dass von ihm erwartet wird in der wirklichen Welt zu handeln. Was den Dichter nun von den anderen Erwachsenen unterscheidet ist, dass er seine Phantasien so formulieren kann, dass sie als nicht peinlich wahrgenommen werden. Durch Verhüllung und Abänderung wird der Charakter des egoistischen Tagtraumes abgemildert und bringt dem Leser einen ästhetischen Lustgewinn.

Die psychoanalytische Literaturinterpretation geht aber keinesfalls davon aus, dass der Autor sein psychologisches Wissen bewusst in seine Texte einarbeitet. Vielmehr geht man davon aus, dass der Autor intuitiv bzw. unbewusst Beispiele für psychoanalytische Phänomene liefert, indem das Unbewusste des Autors das Unbewusste des Helden verstehen und nachvollziehen kann.

Das Unheimliche in „Colony“

In Freuds Aufsatz „Das Unheimliche“ beschäftigt er sich mit mehreren Phänomenen die als unheimlich bezeichnet werden können, für unsere Untersuchung interessant ist aber nur die Beseelung von Gegenständen. Doch bevor Freud auf einzelne Aspekte des Unheimlichen eingeht, stellt er seiner Arbeit eine ungewöhnlich lange Begriffsdiskussion des Wortes „unheimlich“ voran. Einer der Definitionsvorschläge Freuds ist:
"Das Unheimliche ist (...) also auch (...) das ehemals Heimische, Altvertraute. Die Vorsilbe 'un' an diesem Wort ist aber die Marke der Verdrängung." iii.
Das Unheimliche ist demnach also etwas allen Menschen vertrautes, das aber vom Bewusstsein des Menschen verdrängt wird, und durch die Konfrontation mit dem Verdrängten eine beängstigende Form annimmt.
Der Aspekt des Unheimlichen, der uns hier interessiert, wird von Freud als
"Zweifel (...) ob ein Gegenstand nicht etwa beseelt sei." iv.
beschrieben. Aus der oben genannten Definition folgt also, dass die Verlebendigung von eigentlich leblosen Gegenständen etwas Vertrautes, Heimisches sein müsste. Und wirklich ist diese Situation aus dem Kindesalter bekannt. Gegenstände zu beleben ist klarer Bestandteil vieler Kinderspiele. Puppen und Kuscheltiere können in diesen Spielen klar reden und werden als lebende Objekte verstanden.

Im Erwachsenenalter werden diese Spiele aber als kindisch abgestempelt und damit verdrängt. Trifft man nun wieder auf diese ehemals vertrauten, heimischen „lebenden Gegenstände“, werden sie unheimlich.

In „Colony“ sind aber die Gegenstände nicht nur deswegen Angst einflößend, weil sie lebendig werden, sondern weil sie zusätzlich noch versuchen die Menschen umzubringen, was ihnen ja auch am Ende der Kurzgeschichte gelingt.

Besessenheit und Besetzung

Auffällig ist der Zeitpunkt, ab dem die „feindliche“ Lebensform des Planeten die Menschen angreift. Kurz bevor beschlossen wird, mit der Umsiedlung auf dem Planeten anzufangen, kommt es erst zu den Angriffen. Gleich zu Beginn bemerkt Lieutenant Friendly:
"Three weeks on this planet and we've yet to find a harmful life form." v.

Doch was könnte der Auslöser gewesen sein?

Um diese Frage zu klären, muss man sich klar machen, über was die beiden Männer sich in dieser Szene unterhalten. Hauptthema der Unterhaltung sind natürlich die „Picnickers“, die bald auf diesem Planeten erwartet werden und wie sie wohl mit dem Planeten umgehen werden.
"Yes, the picnickers (...) And all of them ready to come in and cut down the trees, tear up the flowers, spit in the lakes, burn up the grass." vi.

Man kann also die These aufstellen, dass die Lebensform wohl auf die bevorstehende Kolonialisierung und die damit einhergehende Zerstörung des Planeten reagiert. Ist es also möglich, dass diese Einzeller ganz friedlich neben den Menschen weiter existiert hätten und es nie zu einem Angriff gekommen wäre, wenn nicht die Besetzung und Vernichtung des Planeten hätte verhindert werden müssen?

Wenn das der Fall ist, müsste man also eher davon ausgehen, dass nicht die Alltagsgegenstände unter einer Form von Besessenheit leiden, sondern die Menschen davon besessen sind, diesen Planeten zu besitzen.


Quellen:

i. Dick, Philip K., Colony, New York: Citadell Press 1987. S. 351
ii.
Freud, Sigmund, "Der Dichter und das Phantasieren" in: Klaus Wagenbach (Hg): Sigmund Freud. Das Unheimliche. Aufsätze zur Literatur. Hamburg. 1963. S.169 - 179
iii.
Freud, Sigmund, "Das Unheimliche" in: Klaus Wagenbach (Hg): Sigmund Freud. Das Unheimliche. Aufsätze zur Literatur. Hamburg. 1963. S.70
iv.
ebd.
S.53
v.
Dick, Colony, S.347
vi.
ebd. S.348


Sonntag, 28. Juni 2009

Besessenheit in Philip K. Dick Kurzgeschichten (2)

Besessenheit in Vater- Ding und Hochstapler : Ein kurzer Vergleich

Das Vater- Ding tötet das Original und übernimmt das Leben der Person, deren Aussehen es angenommen hat. Der Unterschied ist allerdings, dass beim Vater- Ding die Täuschung nicht perfekt abläuft, sodass der Sohn feststellen kann, dass das Ding nicht sein Vater ist, während sie bei Olham so perfekt ist, sodass man nur durch einen Informanten von Olhams Austausch überhaupt erfahren hat. Seine Frau und Nelson konnte er perfekt täuschen. Charles passiert dies nicht mit seinem Vater. Zudem weiß das Vater- Ding, dass es nicht der Vater des Jungen – geschweige denn ein Mensch - ist und er nur eine Rolle spielt, während der Roboter Olham nicht einmal weiß, dass er ein Roboter ist bez. die Kopie eines Menschen und somit Mary, Nelson und dem Rest seines Umfelds lediglich etwas vorspielt. Er glaubt seinem eigenen Schauspiel, weil er nicht weiß, dass er schauspielert.

Des Weiteren musste der Olham – Roboter lediglich den Original Olham töten und keinerlei Daten oder ähnliches übernehmen. Das einzige, das er übernimmt, ist sein Platz im Leben.
Zudem hat das Vater- Ding einen konkreten Plan, den es aktiv umsetzt. Olham ist darauf angewiesen, dass irgendwer die Worte sagt, die die Bombe in ihm aktivieren und weiß es nicht einmal. Sein einziger vorhandener Plan war, den echten Olham auszuschalten und seinen Platz zu übernehmen. Er ist nur eine weitere Waffe in einem Krieg und weiß dabei nicht einmal wirklich, auf wessen Seite er eigentlich steht. Er ist kein Außerirdischer und kein Mensch, sondern etwas, was Außerirdische geschaffen haben. Im Vergleich dazu ist das Vater- Ding sozusagen der Urvater einer Population und arbeitet aktiv daran, seine Art zu vermehren, indem er die Kokons herstellt, in der seine Artgenossen heranwachsen und ihnen hilft, sich die Innereien der Originale einzuverleiben, die sie später ersetzen sollen.

Besessenheit in „Hochstapler“

Auf das Thema Besessenheit gemünzt kann man eine andere Perspektive zu diesem Thema lesen: Die derjenigen, die festgestellt haben, dass Olham nicht der Original - Olham ist, auch wenn er im perfekt gleicht. Zudem zeigt sich hier wieder, wie sehr eine starke Emotion ausreicht, um fixiert auf ein einziges Thema zu sein. In diesem Fall ist es Angst, wobei bei Nelson auch Wut dazu gerechnet werden müsste, da sich somit seine Forderung, Olham sofort zu töten zusätzlich gut erklären lässt:
Einerseits möchte er somit die Aktivierung der Bombe verhindern, andererseits rächt er seinen langjährigen Freund. Dass ihn das alles emotional berührt zeigt sich, als Olham versucht ihn mit Anekdoten aus ihrer Collegezeit zu überzeugen, er sei der echte Olham. i.

Olhams Dilemma in dieser Geschichte lässt sich u.a. so zusammenfassen:
„Der Roboter“, sagte Peters, „würde nicht wissen, dass er nicht der echte Olham ist.“ ii.
Olham glaubt, dass er Recht hat, aber das bringt ihm nicht viel, denn beweisen kann er damit nichts.

Die Besessenheit in dieser Geschichte entsteht aus der Notwendigkeit. Wenn sie sich zu viel Zeit lassen, könnte Olham – falls er denn ein Roboter ist – explodieren. Wenn sie selber Überleben wollen, müssen sie jemand anderes töten. Dass durch diese Situation die Emotionen reduziert werden, wird auch explizit im Text erwähnt. So stellt Olham fest:
„Sie konnten nur an die Gefahr denken. Gefahr, sonst nichts.“ iii.
Der Grund dafür findet sich etwas früher im Text. Olham stellt fest, dass er seinen Mitmenschen im Grunde keinen Vorwurf machen kann. Die Gefahr war eine, auf die unmittelbar reagiert werden musste – selbst, wenn nicht sicher war, ob sie überhaupt existierte.
„In einer anderen Zeit, in der es keinen Krieg gab, würden die Menschen sich vielleicht anders verhalten und ein Individuum nicht in den Tod treiben, nur weil sie Angst hatten. Alle hatten Angst, aus Angst waren alle bereit, das Individuum der Gruppe zu opfern.“ iv.
„Blinder als Blind ist der Ängstliche“ v., schrieb Max Frisch und beschreibt damit auch teils das, was Besessenheit ausmacht: Man nimmt das Umfeld nur noch eingeschränkt war. Alles, was man sieht läuft durch einen Filter, der in diesem Fall ein bestimmtes Gefühl ist.

Alles, was durch diesen „Angstfilter“ läuft wird auf seine Gefährlichkeit untersucht. Was nicht gefährlich ist, wird nicht weiter beachtet, was allerdings potenziell töten könnte, wird besonders beachtet und die Sicht wird eingeschränkt, sodass alle Kräfte und Gedanken nur noch auf die vermeidliche Gefahr fixiert sind und nichts anderes mehr zählt.
Olhams Vermutung
„Er konnte ihre Hysterie, ihren Wahnsinn überwinden, mit Fakten.“ vi.
ist somit nicht zutreffend, da insbesondere krankhafte Angst logischen Argumenten keinen Platz lässt und sie nicht akzeptiert.

Ebenfalls auffällig ist, dass Olham nicht derjenige ist, der seine Persönlichkeit verliert. Diejenigen, die sich komplett verändern, sind sein Umfeld, was an Nelson deutlich wird, als auch an Mary. Sie glaubt sofort, dass ihr Mann ein Roboter ist und verrät ihn, anstatt sich solange auf seine Seite zu schlagen, bis es einen Beweis dafür gibt, dass Olham nicht derjenige ist, den sie geheiratet hat. Nelson wiederum, wie schon deutlich wurde, ist auch darauf aus, Rache zu üben, obwohl auch er keinen Beweis für die Thesen Peters hat.

Der symptomatische Kontrollverlust ist unterschiedlich festzustellen. Olham verliert die Kontrolle über sein Leben, versucht allerdings diese stets wiederzuerlangen. Somit ist es sehr ironisch, dass, kaum, dass er scheinbar bewiesen hat, dass er ein Mensch ist, feststellen muss, dass dem doch nicht so ist und genau das eintritt, wovor alle Angst hatten außer ihm – die Bombe explodiert.

Sein Umfeld, beispielsweise Nelson, verlieren eher die Möglichkeit aus dem Blick, dass Olham doch ein Mensch sein könnte. Die Tatsache, dass es keinen Beweis dafür oder dagegen gibt, lässt sie darauf schließen, dass man vorsorglich davon ausgehen sollte, dass er eben kein Mensch ist. Von da an dreht sich für Nelson alles darum die Bombe zu entschärfen und insbesondere seinen Freund zu rächen.

Die symptomatische Wiederholung von Mimik, Gestik und bestimmten Phrasen findet sich bedingt. So wird von Peters und Nelson immer gesagt, dass Olham kein Mensch ist und sie ihn deswegen töten werden, während Olham immer betont, dass er eben doch einer ist. Bei Letzterem lässt sich dennoch eine Flexibilität der Gedanken feststellen, was daran auszumachen ist, dass er nicht nur zu ergründen versucht, wie er beweisen kann, dass er ein Mensch ist, als auch, warum Nelson, Peters und seine Frau so kopflos handeln. Da die Geschichte allerdings nur aus seiner Perspektive erzählt wird, lässt sich nicht genau sagen, ob das nicht auch für die anderen Charaktere der Geschichte gilt.

Wiederholungen finden sich bei Nelson und Peters ebenfalls. Während Nelson darauf pocht, Olham sofort zu töten, möchte Peters warten, was durch Wiederholungen der Verben „töten“ und „warten“ deutlich wird, die nicht durch Synonyme ersetzt werden. Zudem redet Nelson in auffallend kurzen und knappen Sätzen, was allerdings auch lediglich ein Charaktermerkmal darstellen kann.

Man könnte auch anführen, dass Olham besessen von dem Gedanken ist, ein Mensch zu sein. Der Zwang, dies beweisen zu müssen bestimmt den Grundton der Geschichte. Olham muss beweisen, dass er ein Mensch ist, weil er darauf programmiert wurde, zu glauben, dass dem so ist, was wiederum ein Kriterium für Besessenheit wäre. Allerdings ist die Fremdsteuerung durch die Außerirdischen unmittelbar und wird somit von Olham nicht wahrgenommen wodurch er diese Fremdsteuerung auch nicht als Belastung empfinden kann.



Quellen:
i. Dick, Philip K., „Hochstapler“, ein unmöglicher Planet, München: Heyne 2002, S. 258
ii. ebd. S. 259
iii. ebd. S. 264
iv. ebd .S. 261
v. Frisch, Max, Biedermann und die Brandstifter, Frankfurt am Main: Edition Suhrkamp 1963, S. 32
vi. , Philip K., „Hochstapler“, ein unmöglicher Planet, München: Heyne 2002, S. 264

Besessenheit in weiteren Kurzgeschichten Philip K. Dicks (1)

Warum diese Kurzgeschichten?

Die erste Kurzgeschichte „Foster, du bist tot“ habe ich ausgewählt, da sie, für mich, klar zeigt, dass Besessenheit bez. Anzeichen von dämonischer Besessenheit im übertragenen Sinne auch in einer modernen Welt, wie der des Si-Fi zu finden sind. Zwar handelt es sich bei dieser Geschichte dabei sehr um Institutionen und gesellschaftliche Normen, doch bleibt die Wirkung auf den Besessenen durchaus dieselbe.

„Menschlich ist…“ hingegen steht deutlich in dem Motiv der Besessenheit, wobei es von dem üblichen Schema F einer Besessenheitsgeschichte deutlich abweicht und dabei die Motive des „bösen Geists“ näher beleuchtet womit dieser erstaunlich menschlich wirkt. Da es somit an „Und Jenseits…das Wobb“ erinnert, aber in dieser Hinsucht wesentlich deutlicher wird, habe ich sie dazu genommen.

Foster, du bist tot

Dass sich Besessenheit bei dieser Kurzgeschichte finden lässt, führe ich auch auf die näheren sozialen Umstände Mikes zurück. Er wünscht sich einen Bunker, damit er – wie die anderen Kinder – einen sicheren Ort hat. Zudem scheint die ganze Werbung darauf getrimmt zu sein, den Leuten zu vermitteln, dass sie ständig bedroht sind und deshalb ständig für ihre Sicherheit sorgen müssen. Das wird unter anderem deutlich, wenn Bob Foster über die Werbemaschen redet:
„Sie haben immer gesagt, man verkauft etwas, wenn man Angst in den Menschen weckt. (…) Wenn du nicht kaufst, werden sie dich töten. Die perfekte Verkaufsmasche. Erwerben oder sterben – neuer Slogan.“ i.
Mike als Kind kann sich kaum gegen diese Werbemaschen wehren und lässt sich von der Kriegshysterie schnell anstecken.

Er ist ein Außenseiter. Sein Vater ist ein Anti - B und hat nicht mal die NATS unterstützt. Sie haben keinen Bunker und zahlen auch nicht dafür, dass Foster den Schulbunker benützen dürfte, falls ein Krieg beginnen sollte und sich der Junge zu dem Zeitpunkt in der Schule befindet.

Somit läuft das wohl natürliche Bedürfnis, dazuzugehören bei Mikes Angst mit der Angst zu Sterben zusammen.

Letztlich ist er so besessen von dem Gedanken, einen Bunker besitzen zu müssen, dass er nicht nur sagt, dass er jede Nacht im Bunker schlafen würde, wenn sie einen hätten, sondern es letztlich auch tut, als Bob Foster dem Wunsch nach dem Bunker letztlich doch nachkommt. Er wird aufgenommen in die Schulgemeinschaft, hat plötzlich Selbstvertrauen, lädt Klassenkameraden zu sich ein und genießt das Wohlwollen seiner Lehrerin, die treffend feststellt:
„Jetzt bist du ein Pro - B, nur dass es so einen Ausdruck nicht gibt. Du bist einfach – so wie alle anderen.“ ii.
Der tiefe Fall kommt, als der Bunker verkauft wird und Mike das feststellt. Seine Reaktion, nämlich den Bunker im Geschäft aufzusuchen und diesen nicht mehr verlassen zu wollen, sodass er aus dem Laden getragen wird, veranlasst einen der Verkäufer zu der Bemerkung, dass mit dem Jungen was nicht stimmt. iii.

Als er schließlich aus dem Laden vertrieben wird und er einsehen muss, dass sein Wunsch nach Sicherheit nicht gestillt werden kann ist er
(…)geistesabwesend, sein Kopf leer und tot.“ iv.
Weiter heißt es:
„Er ging willenlos, ohne Bewusstsein oder Gefühl.“ v.
War er noch eben erfüllt von verschiedenen Emotionen – allen voran Angst, da er ja keine Bunker mehr hat in den er sich verkriechen kann, scheint er nun völlig leer zu sein. Als sei er exorziert worden, ist der Zustand der Besessenheit, der Zustand voller Angst, vorbei. Dadurch, dass sein Sicherheitsbedürfnis endgültig zerschmettert wurde, wurde er quasi „erlöst“, auch wenn er das so nicht wahrnimmt.

Wie im Thesenblatt schon festgestellt, kann die Beseelung eines sehr starken Gefühls schon von Außenstehenden als Art von Besessenheit angesehen werden.

Mike ist besessen von seiner Angst. Diese sorgt dafür, dass er nur die Gefahr sieht, in der er schweben könnte und sein einziges Ziel ist es, sich selbst zu schützen. Der Zustand der Angst und das Verlangen nach Sicherheit in Form des Bunkers sind unbewusst selbst gewählt (unbewusst, da Kinder nicht sonderlich viel über sich selbst und ihre Handlungen reflektieren können/wollen) und er empfindet ihn nicht als Belastung.

Eine Belastung ist es für ihn, dass sein Bedürfnis nach Sicherheit nicht gestillt wird und nicht, dass es überhaupt existiert. Die Fremdsteuerung, die viele Besessene erleben, erfolgt bei Mike durch die Werbung und sein soziales Umfeld. Beides prägt ihn und nur darauf hört er. Die durchaus logischen Einwände seines Vaters gegen einen Bunker finden bei ihm kein Gehör. Seine Erklärung, warum der Bunker später weg ist, wird von ihm teilnahmslos hingenommen und scheinbar nicht weiter beachtet. Es erfolgt keine Einsicht, kein Verständnis, kein Aufgeben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ganze Werbeindustrie als auch das soziale Umfeld in ihrer Kombination nichts andere als eine Art Besessenheit oder auch Sucht (wobei das eine mit dem anderen gerne Hand in Hand geht) zulassen. Gerade Mike als Kind kann sich kaum dagegen wehren. Wenn er dazugehören möchte, muss er einen Bunker haben. Da er keinen hat, beschäftigt er sich so sehr mit diesem in Gedanken, dass für nichts anderes mehr Platz ist.

Menschlich ist…

Viel deutlicher wird die Besessenheit in der Kurzgeschichte „menschlich ist…“ in der allerdings der Zustand der Besessenheit durch die Inkorporation Lesters nicht negativ dargestellt wird.

Lester wird bei einem Besuch des Planeten Rexor IV innerlich quasi ausgetauscht.
„Die psychischen Originalinhalte werden entfernt und gelagert – eine Art einstweilige Außerkraftsetzung. Im gleichen Augenblick werden die Ersatzinhalte eingefügt.“ vi.
Doch anstatt des Feindes, der die Inkorporation ausnutzt, um kriegerische Vorteile zu erlangen, geschieht dies in dieser Kurzgeschichte aus purer Not. Die Bewohner wollen von dem Planeten fliehen, dürfen aber nicht. Diese Art der Besitznahme eines anderen Körpers ist ihre einzige Chance auf ein besseres Leben und der Zusammenhalt der Rexorianer scheint dabei nicht zu existieren.

Anstatt Jill zu raten Rexor IV zu besuchen, damit sie dort vielleicht ebenfalls einen Artgenossen in sich aufnehmen kann, rät er ihr strikt davon ab. Er handelt in seinem eigenen Interesse, kreiert neue Gerichte, spielt mit Gus, umwirbt Jill etc.

Er ist keine Bedrohung und wird selbst von Frank eher wie ein lästiges Insekt behandelt, denn als Start einer Invasion. So wird später davon geredet, dass die Rexorianer „auswandern“ wollen. vii.

Dies und die Angabe, dass die Rexorianer eh nicht mehr weit verbreitet sind lassen auf eine vollkommen andere Grundsituation schließen. Die Rexorianer sind quasi Insekten, die nur erwischt werden müssen. Sie sind den Menschen zahlenmäßig unterlegen und stellen somit anscheinend absolut keine Bedrohung für sie da.

Ein weiterer Beleg für die tatsächliche Besessenheit durch eine Art Geist ist auch im Text zu finden. So erklärt Frank Jill:
„Lester ist nichts ahnend dort eingetroffen - und dieses Ding hat ihn verdrängt und seinen Körper übernommen.“ viii.
Der einzige Unterschied ist, dass es sich bei dem neuen Lester um keinen bösen Geist oder Dämon handelt sondern um ein fremdartiges Wesen, das lediglich ein besseres Leben für sich wollte.

Da der Original - Lester eh nicht beliebt bei Jill war ist es vielleicht auch am ehesten zu verstehen, dass sie die Veränderung als solche belassen will und dafür sorgt, dass der besessene Lester mit ihr zurück nach Hause darf. Somit wird auch der typische Besessenheits- Plot, wie er beispielsweise in „The Father - Thing“ zu finden ist, umgangen.


Quellen:
i. Dick, Philipp K., "Foster, du bist tot". Ein unmöglicher Planet, München: Heyne 62002 S. 331
ii. ebd. S. 329
iii. ebd. S. 337
iv. ebd. S. 338
v. ebd. S. 338
vi. Dick, Philip K, „Menschlich ist…“. Ein unmöglicher Planet, München: Heyne 62002 S. 231
vii. ebd. S. 233
viii. ebd. S. 234

Mittwoch, 24. Juni 2009

Der Verlust des Paradieses. John Miltons "Paradise Lost" und Philip K. Dicks "Colony"

Milton veröffentlichte sein episches Gedicht 1667 und damit vor dem Hintergrund einer protestantisch-puritanisch geprägten Zeit in England, in der das Bewusstsein von der Verderbtheit des Menschen von zentraler Bedeutung war und:
„Hieraus erklärt sich das wiedererwachte Interesse für den Sündenfall, [...]“ i.
In Paradise Lost dupliziert Milton allerdings nicht nur auf poetische Weise die biblische Geschichte von der Verführung und dem Fall des ersten Menschenpaares, sondern versucht interpretatorische Erklärungen für das Geschehen zu geben. So entsteht ein eigener Kosmos von Bildern und von Erklärungen, die zum Teil auf dem historischen Hintergrund beruhen, aber auch Miltons persönliche Sichtweisen wiedergeben.

Dass Dicks Kurzgeschichte im Zusammenhang mit der Sündenfalldiskussion gelesen werden kann, soll das folgende Zitat vom Beginn der Geschichte belegen:
„'But the whole planet is harmless. You know I`m wondering whether this is not the Garden of Eden our ancestors fell out of.' 'Were pushed out of.' " ii.
Der Vergleich mit dem Garten Eden, den Major Hall anstellt, ist eine direkte Anspielung auf das biblische Thema und die Erwiderung von Lieutenant Friendly leitet bereits die Diskussion um die Schuldigkeit des Menschen ein, denn sein „were pushed out“ zielt auf ein gewaltsames Einwirken von außen und weniger auf die alleinige Schuld des Menschen.

Überträgt man Miltons epische Bilder vom Paradies und seine Vorstellungen vom Fall der ersten Menschen auf Philip K. Dicks Kurzgeschichte "Colony", lassen sich zunächst markante Übereinstimmungen finden. Das anfängliche Verhalten der Charaktere, ihre Überzeugung davon, dass ein paradiesischer Planet harmlos zu sein hat, die daraufhin als trügerisch entlarvte Idylle und der anschließende Verlust des Paradieses in beiden Handlungssträngen zeigen deutlich die über Jahrhunderte hindurch (und bis in eine fiktionale Zukunft Dicks reichende) Besessenheit des Menschen mit einer durchaus ähnlichen Vorstellung von einem (biblisch anmutenden) Paradies und dessen Verlust. Dennoch gestalten die Autoren den Schluss ihrer Erzählungen auf konträre Weisen. Daher besteht die Absicht dieses Eintrages darin, die Parallelen und Abweichungen zwischen den Vorstellungen der beiden Autoren vom Sündenfall zu beleuchten.

Die Pastorale als Paradies

Die erste Übereinstimmung zwischen Dick und Milton besteht in der Ähnlichkeit der Schilderungen des Paradieses. Beide schaffen eine Idylle und beschreiben die Natur in ihrer ursprünglichen, vom Menschen ungebändigten Schönheit. In den Augen der Dickschen Hauptfigur – Major Hall – ist der Planet Blau ein Abbild des Garten Eden, was auf das „Besetztsein“ oder die „Besessenheit“ der menschlichen Vorstellung mit dem Bild des Paradieses hindeutet.

Roland Hagenbüchle nennt Miltons Schilderungen ein „pastorales Paradies“ und meint weiter über Miltons Paradies:
„Die Natur muss nicht gebändigt, sondern nur gezogen werden; [...] sie ist gesittet und spielerisch.“ iii.
Ein Zitat aus dem vierten Gesang gibt einen Eindruck von Miltons Paradies:

„Both where the morning Sun first warmly smote
The open field, and where the unpierc't shade
Imbround the noontide Bowrs: Thus was this place,
A happy rural seat of various view;
Groves whose rich Trees wept odorous Gumms and Balme,
Others whose fruit burnisht with Golden Rinde
Hung amiable, [...]
[...]; mean while murmuring waters fall
Down the slope hills, disperst, or in a Lake, [...] “ iv.
Die Dicksche Vorstellung vom Garten Eden ist der von Milton fast aufs Detail ähnlich, denn die Natur des Planet Blue ist ebenfalls durch grüne Felder, Wasserfälle, Fruchtbäume und Seen gekennzeichnet:
„Rolling hills, green slopes alive with flowers and endless vines; waterfalls and hanging moss; fruit trees; acres of flowers, lakes.“ v.
Darüber hinaus erscheint die Natur des Planet Blau als eine ebenfalls vom Menschen ungebändigte Landschaft:

„Every effort had been made to preserve intact the surface of Planet Blue – as it had been designeted by the original scout ship, six months earlier.“ vi.
Die trügerische Idylle


Eine weitere Gemeinsamkeit der Texte ist die Darstellung des Paradieses als eine nur scheinbare Idylle, in der bereits zu Beginn beider Texte subversive Elemente wirken.
Bei Milton befindet sich bereits die Schlange selbst unter den spielenden Tieren:
„[...] close the Serpent sly
Insinuating, wove with Gordian twine
His breaded train, and of his fatal guile
Gave proof unheeded; [...] “
vii.
Auch das gemeinsame Mahl von Adam und Eva erscheint als zukunftsdeutend, denn
„to thir supper fruits they fell.“ viii.
Roland Hagenbüchle weist in diesem Zusammenhang auf den Traum Evas aus dem fünften Gesang hin, in den sich der Teufel einzumischen versucht, und sagt über den Traum, er sei:
„das klarste Beispiel von 'type' und 'foreshadowing', er ist die dramatische Antizipation des Falles selbst.“
Des Weiteren betont er das subversive Element in Miltons Paradies, in dem er schreibt:

„Dieser Januscharakter des Paradieses weist auf die Ungesichertheit des 'status integritatis' hin. ix.
Dass die Dicksche Pastorale nur eine oberflächlich friedvolle Welt ist, wird bereist am Anfang der Erzählung verdeutlicht, als unmittelbar an die Aussage Major Halls:

„It`s so – so damn pure. Unsullied.“ x. ,
sein Mikroskop ihn angreift und er auf das Gerät schießen muss, um sein Leben zu retten. Damit offenbart auch die Idylle des Planet Blau die Tatsache, dass die der Schein des Friedlichen trügt. Nebenbei enthüllt das letzte angeführte Zitat nochmals die Affinität des Dickschen Textes zur Sündenfallthematik, denn die Adjektive „pure“ und „unsullied“ lassen sich auch in den Bereich der Jungfrau-Metaphorik einordnen, denn unbefleckt und rein ist sowohl Eva als auch das Paradies zu Beginn der Sündenfallerzählung ebenfalls.


Ignis Fatuus/Das Täuschungselement

Das „Irrlicht“, das den Menschen zur Sünde verführende, ihn täuschende und aus dem Paradies treibende Element taucht in beiden diskutiertet Texten in zwei verschiedenen Variationen auf.

a) Zunächst sollen das Element der Täuschung in Form der Selbsttäuschung des Menschen und seine Angst vor dieser Täuschung erwähnt werden. In Miltons Epos ist dieses Element der Selbsttäuschung freilich auf eine indirekte Weise dem Text immanent. Sichtbar wird diese Immanenz vor dem geschichtlichen Kontext: Dem Puritaner des 17. Jahrhunderts scheint jede sinnlich-fleischliche Regung ein sündhaftes Potential zu haben.
„Diese angespannte Aufmerksamkeit des Puritaners gegenüber allen verdächtigen Willensregungen schlägt manchmal geradezu in Selbstargwohn um, und führt bisweilen zu einem tiefen Misstrauen gegenüber dem eigenen Ich. [...] die geradezu panische Angst vor Selbsttäuschung führt zu einem wahren ignis-fatuus-Komplex, dem nur durch gewissenhafte Lesung der heiligen Schrift, verbunden mit peinlichster Selbstprüfung beizukommen ist.“ xi.
In diesem Kontext erscheint die Beichte ebenfalls als ein probates Mittel eine Selbstprüfung vorzunehmen, um einer Täuschung durch die Sinne und dem Verlust der Kontrolle durch den Verstand beizukommen. Die Furcht vor der Selbsttäuschung findet jedoch auch Eingang in das Epos Miltons, denn den Zustand des ersten Menschenpaares nach dem sie die verbotene Frucht gegessen haben, beschreibt Milton eben durch das „Verdunkeln“ der Vernunft und die Vorherrschaft der Sinne:

„Soon found their eyes how opened, and their minds,
How darkened; [...] “
xii.
Auch in Dicks Colony spielt das Element der Selbsttäuschung eine große Rolle. Nach dem Major Hall von seinem Mikroskop angegriffen wurde, wird angeordnet, dass er sich einem psychischen Test durch einen „robot psyche tester“ unterwirft, der beim Major eine hohe psychische Instabilität diagnostiziert. xiii. Der Roboter in Dicks Kurzgeschichte könnte nun als seine Vorstellung von der zukünftigen Beichtpraxis angesehen werden: Sahen die Puritaner des 17. Jahrhunderts die Beichte als ein Instrument zur Selbstprüfung an, so ist der Roboter in der Dickschen Zukunftsvision ebenfalls ein Mittel, um zu überprüfen, ob Major Halls Ratio nicht einer Täuschung verfallen sei. Darüber hinaus schließt der Major selbst eine Selbsttäuschung nicht aus, denn als er sich nach dem Test unter die Dusche begibt, fragt er sich, ob seine mentale Instabilität das Resultat der Erfahrung oder die Ursache der Erfahrung sei, damit stellt er sich im Grunde die Frage, ob seine Erfahrung der Realität entsprechen könnte und damit als Grund für seinen psychischen Zustand angesehen werden könnte:
„The robot psyche tester had showed his mind was severely disturbed, but that could have been the result, rather than the cause, of his experience. He had started to tell Friendly about it but he had stopped. How could he expect anyone to believe a story like that?“ xiv.
b) Seine zweite Ausprägung findet das täuschende Element in den Personifikationen der Täuschung in den beiden Texten. Obwohl die Personifikationen durchaus unterschiedlicher Natur sind, haben sie doch Gemeinsamkeiten, was ihr Auftreten und das aus ihren Aktionen entspringende Resultat angeht.


In der Dickschen Geschichte erfahren wir, dass das unbekannte Wesen die Menschen dadurch täuscht, dass es organische Gegenstände perfekt nachbilden kann, um die sich in Sicherheit wiegenden Menschen anzugreifen. Im weiteren Verlauf der Erzählung stellen die Charaktere durch einen Laborversuch fest, dass es sich bei diesem Wesen, um eine Art Protoplasma handelt, dass sich unendlich zu teilen vermag. xv.

Der Teufel, die personifizierte Verführung und Täuschung des Menschen in Miltons Paradise Lost, besitzt ebenfalls die Fähigkeit verschiedene Gestalten anzunehmen, so nimmt er im vierten Gesang die Gestalt eines guten Engels an, um ins Paradies zu gelangen „
...that some evil spirit had escaped the deep and passed at noon by his sphere in the shape of a good angel down to paradise,...“ xvi.
und im neunten Gesang verwandelt er sich schließlich in die Schlange, die Eve verführt. Diese Vorstellung Miltons davon, dass die Bösartigkeit eines Wesens von dem Grad seiner größeren oder geringeren Einheit abhängt, drückt Hagenbüchle folgendermaßen aus: „
Der Vergebliche Versuch Satans, aus dem Gefängnis seines Ich auszubrechen, stürzt ihn in eine immer tiefere Unruhe, die sich in seinem unsteten Umherschweifen und in der proteusartigen häufigen Veränderung seiner Gestalt kundtut.“ xvii.

Die Schuldfrage

Die Divergenz zwischen den Vorstellungen Dicks und Miltons setzt an der Schuldfrage an, das heißt, an der Diskussion, ob das Böse aus dem Menschen selbst stammt oder ob der Fall allein durch eine Einwirkung von außen bedingt wurde.

Milton gibt in seinem Epos eine eindeutige Antwort auf diese Frage, für ihn hat das Böse seinen Ursprung im Menschen selbst. Bereits der Traum Evas im fünfen Gesang ist eine Antizipation des Falls, denn der Traum offenbart ihren Narzissmus:
„...Heav'n wakes with all his eyes,/ Whom to behold but thee, ...“
und ihren Zeifel an der Güte Gottes:

„ ...is Knowledge so despis'd? Or envie, or what reserve forbids to taste?“ xviii.
hierdurch deutet Milton an, dass die Sünde ihren Ursprung bereits im Menschen selbst hat:

„Die Bedeutung Satans als Träger und Bringer des Bösen tritt dadurch zurück. Es ist letztlich der Mensch selbst, der sich zu Fall bringt, indem seine potentiell neutralen Anlagen negativ realisiert und damit pervertiert werden.“
Im Hinblick auf die Dicksche Kurzgeschichte ist die Frage zwiespältig zu beantworten. Zunächst erscheint es so, als siedle Dick im Gegensatz zu Milton das Böse als außerhalb vom Menschen liegen an. Zu Beginn korrigiert Friendly seinen Kollegen, als er unterstreicht, dass die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden: „'Were pushed out of.' "Der Passiv im Sprachgebrauch deutet schon auf eine bösartige Fremdeinwirkung auf den Menschen hin. Auch gewinnt man den Eindruck, dass die Menschen ohne Grund von dem Protoplasma angegriffen werden, eine mögliche Ursache wird im Text nicht einmal angedeutet. Dennoch ließe sich Dicks Sicht auch in die Nähe der Miltonschen Interpretation rücken, wenn man sich vor Augen führt, dass das Protoplasma sich erst gegen den Menschen richtet, nachdem Hall und Friendly in ihrem Gespräch angedeutet haben, dass die Kolonialisten, denen sie den Planeten zu überlassen haben, die ursprüngliche Schönheit des „Gartens Eden“ mit aller Sicherheit zerstören werden:
„And all of them ready to come in and cut down the trees, tear up the flowers, spit in the lakes, burn up the grass.“
Erst nachdem die Zerstörung in Aussicht steht und klar wird, dass niemand es zu verhindern suchen wird, entfaltet das Protoplasma seine verheerende Eigenschaft. So scheinen die Menschen auch in diesem Fall die Sünde durch eigenes Verschulden über sich gebracht zu haben, denn die drei Wochen, die sie friedlich, im Einklang mit der Natur auf dem Planet verbracht haben, verliefen ohne jegliche Angriffe:
„Three weeks on this planet and we`ve yet to find a harmful life form.“
Felix culpa oder irreversibler Fall?


Bei der Einordnung der Schlusssequenzen der beiden Texte in die historische Diskussion über die Begründung des Sündenfalls und die damit verbundene Theodizee-Diskussion stehen sich die Erzählungen diametral entgegen.

Milton ist in die lange Tradition der Felix-Culpa-Doktrin von Augustinus
(„Augustinus nennet die Schuld glücklich, weil sie Gott veranlasst, die Erlösung des Menschen durch Christus ins Werk zu setzen.“)
einzuordnen und unterstreicht damit die Besessenheit des Menschen mit dem Verlangen eine positive Begründung für den Fall und die Unbarmherzigkeit Gottes zu finden.
„Der Gedanke, dass ohne Übel das Gute nicht lebendig würde, ist schon on der Stoa zu finden und wird später von den Renaissance Theologen verwendet.“
Gottvater entlässt bei Milton seine gefallenen Geschöpfe ganz im Sinne einer Augustinischen felix culpa aus dem Paradies, denn er prophezeit ihnen ein neues Paradies, dass sie in sich selbst finden werden:

„...: then wilt thou not be loath
To leave his paradise, but shalt possess
A paradise within thee, happier far.“
Im Gegensatz dazu scheint der Dicksche Fall irreversibel und ohne Einblick in eine positive Zukunftsmöglichkeit zu sein. Verlassen bei Milton Adam und Eva das Paradies bekleidet, sich ihrer Schuld bewusst und zur Sühne bereit, laufen bei Dick die Menschen nackt, sich einer möglichen Verfehlung gar nicht bewusst ihrem Tod entgegen:
„From all the buildings, naked men and women were pouring silently toward the ship.“
Selbst als sich die berechtigte Angst im Unbewussten regt wird diese verdrängt; aber auf eine sehr ironische Weise verdrängt: Als die Commandor meint „I`m scared.“ gibt Hall ihr die folgende Antwort: „Forget it. Carry-over from our early childhood.“ Dass er damit durchaus das Überbleibsel aus den Anfängen des Menschen und seinem ersten Sündenfall meinen könnte, scheint Hall nicht bewusst zu sein. Damit vermittelt Dick den Eindruck, dass die Besessenheit des Menschen mit dem Sündenfall und der Suche nach einer positiven Interpretation des Geschehens nichts als ein ignis fatuus ist, ein Irrlicht des Glaubens an eine Vorstellung, die der realen Welt nicht standhält und als krankhafte Besessenheit angesehen werden dürfte. Solange der Mensch auf das nächste Paradies auch wartet, es wird keines kommen.


„They waited and waited. But no one came. “


Quellen:

i. Roland Hagenbüchle, Sündenfall und Wahlfreiheit in Miltons „Paradise Lost“. Versuch einer Interpretation, Bern: Francke 1967, S. 1.
ii. Philip K. Dick, Colony, New York: Citadell Press 1987, S. 347.
iii. Hagenbüchle, Sündenfall und Wahlfreiheit in Miltons „Paradise Lost“. Versuch einer Interpretation, S. 50.
iv. John Milton, Paradise Lost, London: Penguin 2000, Book iv, V. 244-261.
v. Dick, Colony, New York: Citadell Press 1987, S. 347.
vi. Ebd.
vii. Milton, Paradise Lost, Book iv, V. 347-350.
viii. Milton, Paradise Lost, Book iv, V. 331.
ix. Hagenbüchle, Sündenfall und Wahlfreiheit in Miltons „Paradise Lost“. Versuch einer Interpretation, S. 57.
x. Dick, Colony, S. 347.
xi. Hagenbüchle, Sündenfall und Wahlfreiheit in Miltons „Paradise Lost“. Versuch einer Interpretation, S. 5.
xii. Milton, Paradise Lost, Book ix, V. 1053.
xiii. Vgl. Dick, Colony, S. 350.
xiv. Ebd.
xv. Vgl. Dick, Colony, S. 358.
xvi. Milton, Paradise Lost, Book iv, The Argument.
xvii. Hagenbüchle, Sündenfall und Wahlfreiheit in Miltons „Paradise Lost“. Versuch einer Interpretation, S. 66.
xviii. Milton, Paradise Lost, Book ix, V. 1053.

Samstag, 6. Juni 2009

Zur Besessenheit in der Theologie

Das Phänomen der Besessenheit ist nicht selten auch ein wichtiger Bestandteil, nicht nur des christlichen Glaubens, sondern vieler Religionen. Meist wird darunter die Inbesitznahme des menschlichen Körpers durch einen Dämon, eine Gottheit oder eines Geistes verstanden. Und nicht immer wird dieser Zustand als verwerflich empfunden, er wird bei einigen Kulturen sogar künstlich herbeigeführt, um mit höheren Wesen oder Göttern in Kontakt zu treten. Vodoo wäre ein bekannteres Beispiel dafür, aber laut Studien gibt es diese Trance- und Besessenheitszustände in 90% der 488 über alle Welt verteilten Kulturen. Diese Studie lässt erstmal vielleicht die Frage aufkommen, ob es überhaupt möglich und sinnvoll ist, die Menschhheit in exakt 488 Kulturen zu unterteilen, denn ab wann definiert sich eine Gruppe von Menschen als Kultur, oder noch interessanter, wann ist sie es nicht? Das soll nun aber nicht Thema sein, was die Studie aber auf jeden Fall deutlich zeigt, ist, wie weit verbreitet der Glaube an die Besessenheit ist.
Selbst wenn im christlichen Glauben die Besessenheit ein unfreiwilliger und böswilliger Akt der Destruktion darstellt und im Vodoo vielmehr einen erwünschenswerten Zustand, so haben sie doch alle eines gemein: Den Glauben an eine Seele/n, Geist, höhere Macht, welche nicht körpergebunden ist. Diese „Erkenntnis“ klingt erst einmal banal, ist aber nicht unerheblich, denn erst dadurch kann die Besessenheit vonstatten gehen.

„Positive Besessenheit“ oder „Mediumismus“:

Die Besessenheit durch einen herbeigerufenen Geist, Gottheit oder Kraft, welche aber freiwillig für eine bestimmte Zeit inkorporiert wird, um beispielsweise Botschaften aus dem Jenseits oder von den jeweiligen Göttern zu erhalten.
Der Besessene dient quasi als Medium, wobei er ein gewisses Maß an Kontrolle behält, also über Dauer, Zeitpunkt und Verlauf bestimmen kann. ZB.: Vodoo, Schamanismus,...

„Negative Besessenheit“:

Die Inkorporation durch eine Kraft oder einen Dämon, welcher in den meisten Fällen böse ist und die Zerstörung des Besetzten im Sinne hat.
In diesem Falle hat der Besessene jedoch das Gefühl, keine Kontrolle mehr zu haben, jede freiwillige Komponente entfällt gänzlich, er wird vollständig beherrscht und fühlt sich ausgeliefert und hilflos.

Besonders diese Art der Besessenheit ist viel diskutiert, da hier immer auch eine Differenzierung zu psychischen Krankheiten wie der Hysterie, Schizophrenie, multipler Persönlichkeit und Epilepsie erfolgen muss, was sehr oft allein schon paradox ist, da die meisten Psychologen und Mediziner dem psychopathologischen Erklärungsmodell wohl immer den Vorzug geben würden, wohingegen die Kirche aber die Existenz von psychischen Störungen nicht mehr leugnet.
Im Mittelalter und bis weit hinein in die Neuzeit war das noch anders, Exorzismen wurden oft leichtsinnig durchgenommen, ohne andere mögliche Erklärungen überhaupt erst zu überprüfen. Nicht selten resultierte dies in dem Tod des „Besessenen“. Heute ist das etwas anders, nicht allerdings was die Häufigkeit von Exorzismen betrifft, lediglich die Strenge der vorhergehenden Untersuchung.
Es gibt bestimmte Kriterien, um eine Dämonenaustreibung vornehmen zu dürfen, vorher muss von einem Arzt eine psychische Ursache ausdrücklich ausgeschlossen werden. Dass dies scheinbar öfter vorkommt als erwartet, beweist die unglaubliche Zahl von 500000 Exorzismen, die jährlich vorgenommen werden. (später mehr zum Exorzismus)

Wann gilt man in der katholischen Kirche als besessen?

Kriterien:

*Krankhafter Zerstörungstrieb und selbstverletzendes Verhalten
*Unerklärliches Verbreiten von Gerüchen (meist Schwefel)
*Levitation (Schweben)
*Ungeahnte körperliche Kräfte, welche eigentlich über das Alter und die Konstitution der betroffenen Person hinausgehen
*Abscheu gegen geweihte Gegenstände und Personen
*Xenoglossie (Fähigkeit eine Sprache zu sprechen, welche nie erlernt wurde)
*Permanentes, oft obszönes Fluchen
*Klopfgeräusche
*Das Hervortreten verschiedener Persönlichkeiten bzw. Dämonen


Wenn man sich diese Kriterien so durchließt, teilt ein skeptischer Geist sie vermutlich nicht selten in zwei Gruppen ein: Dem religiösen Aberglauben zugehörig oder als Indizien einer Krankheit.

Besessenheit im frühen Christentum- Ein kurzer geschichtlicher Exkurs


Im Altertum gibt es einige Legenden und bibliographische Berichte, dass Besessene Stimmen und auch das Verhalten von Tieren nachahmten. Die heilige Paula beispielsweise berichtete von einem für sie schockierenden Erlebnis auf ihrer Pilgerreise nach Samaria/ Palästina, wo die „Kranken“ in den Gräbern der Heiligen „mit den Stimmen von Wölfen heulten, wie Hunde bellten, wie Löwen brüllten, wie Schlangen zischten, wie Stiere brüllten“.
Ein anderes Beispiel schildert Johannes von Ephesos, ein Zeitgenosse des Kaisers Justinus II, in seiner Kirchengeschichte, wo er sich über den in späten Jahren wahnsinnig gewordenen Kaiser folgendermaßen äußert: „Daher habe er die Stimmen der Tiere gebraucht und wie ein Hund gebellt und bald wie ein Ziegenbock geblökt, bald wie eine Katze geschrieen, bald auch wie ein Hahn gekräht und vieles getan, was dem menschlichen Geist fremd ist, was aber vom Fürsten der Finsternis stammt, dem er übergeben war.“ Johannes v. Ephesos war der Meinung, jene Umnachtung sei die gerechte Bestrafung des erzürnten Gottes, der auf diese Weise sämtliche Schandtaten des Kaisers verurteilte.

Aus diesen Überlieferungen wird ersichtlich, dass Besessenheit damals mit Geisteskrankheit gleichgesetzt wurde, zum Gegensatz zur Neuzeit. Heute erfolgt eine penible Differenzierung zwischen Krankheit und dämonischer Besessenheit und weder aus christlicher noch aus medizinischer Sicht würde man sie jemals gleichsetzen. Die Disskussion, welche der beiden Zustände dann tatsächlich vorliegt, fällt dabei sicherlich weniger einig aus.
Im Altertum galt folglich die Erkrankung der Psyche immer auch als Indiz einer Besessenheit, meist als Bestrafung eines sündhaft geführten Lebens. Und mit der Übereinstimmung oder überhaupt erst durch den Auftrag Gottes.
Diese und andere Geschichten lassen die Vermutung zu, dass man damals der festen Überzeugung gewesen sei, der Teufel und seine Komplizen seien vielmehr die Handlanger Gottes als dessen gefürchtete Widersacher. Sicherlich nicht aus Gutmütigkeit, aber doch aus Unterlegenheit.
Der Glaube an das eigenständig handelnde Böse existierte also bis zu einem gewissen Grad noch nicht, es handelte sich bei Besessenheit immer um den Willen Gottes, die Antwort des allmächtigen Schöpfers und Rächers.
Das heißt allerdings nicht, dass die Angst vor den Wahnsinnigen oder den „Rasenden“ wie sie oft genannt wurden oder die Angst davor, sogar selbst von der Krankheit heimgesucht zu werden, geringer war. Im Gegenteil.
Wo heute von Gläubigen oft darüber gerätselt wird, wieso gerade ein bestimmter Mensch von einem Dämon in Besitz genommen wird, benötigte es im Altertum keines Gelehrten, um die Lösung dafür zu finden. Ein frevelhaftes Leben wurde von Gott bestraft. Und seine Peinigung bestand nun einmal darin, dem Herren der Finsternis übergeben zu werden.
Für die Menschen bestand kein Zweifel an diesem Glauben und man kann sich sicherlich vorstellen, dass die Kirche diese Überzeugung sehr zu ihrem eigenen Nutzen gebrauchte. Angst verleiht Macht und Kontrolle.
Diese Vormachtstellung der Kirche kann man durchaus auch als eine, vielleicht weit entfernte, Art der Besessenheit bezeichnen. Schließlich zeichnete sich der Mensch durch das ständige Gefühl der Kontrolle (sei es nun durch Gottes Auge oder die Kirche) und einem gewissen Zustand des Ausgeliefertseins aus. Möglicherweise hatte man über seinen Körper Macht, in sehr eingeschränktem Maße jedoch über seinen Geist.
Man sieht also, dass die Besessenheit auf vielen Ebenen existiert, eine einheitliche Definition zu finden, ist daher oft problematisch.
Eine weitere Unterscheidung zum heutigen Glauben an die Besessenheit lässt sich darin finden, dass der Mensch selten von einem dämonischen Wesen selbst besetzt wurde, sondern von dem Bösen lediglich dazu gezwungen wurde, sich tierisch zu verhalten. Dies erinnert an die Krankheiten Kynanthropie und Lykanthropie, bei denen es sich um psychische Störungen handelt, wo Menschen glauben, in Hunde und Wölfe verwandelt worden zu sein und sich auch dementsprechend verhalten.
In vielen Mythen und Legenden des Altertums ist auch die Sprache von Menschen, die beispielsweise jahrelang als Rind in der Wildnis herumirrten und erst durch die Gnade Gottes von diesem Zustand wieder befreit wurden.
Nun stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, wieso die Besessenheit sich gerade auf diese Weise manifestierte? Wieso zog man stets den Vergleich zu einem außer Rand und Band geratenen Tier?
Vielleicht würde man auch heute noch insgeheim ein wenig an einen tobenden Stier denken, wenn man Zeuge eines epileptischen Anfalls wäre, doch ist es eher unwahrscheinlich, den Menschen tatsächlich für einen Stier zu halten. Natürlich die Zeiten haben sich verändert, jeder weiß heutzutage über psychopathologische Krankheiten Bescheid. Und dennoch. Ganz so einfach dürfte es wohl nicht sein.
Es spielt sicher auch eine Rolle, dass Tiere bis zu einem gewissen Grad immer noch als dem Menschen unterlegen angesehen werden. Sie gehen schamlos ihren Trieben und Gelüsten nach ohne dadurch gleich unter einer Neurose zu leiden, sie gebärden sich oft unkontrolliert und tobend, wenn man sie zu einem bestimmten Verhalten zwingen will. Alles Eigenschaften, die damals wie heute als ungebührend betrachtet werden. So verhalten sich Menschen nicht. So dürfen sie sich gar nicht verhalten, wenn sie der Gesellschaft zugehörig sein wollen. Jedes Abweichen der Norm wird kritisch beäugt, nicht selten heißt es schließlich auch „Was für ein Tier!“ oder „Was ist nur in dich gefahren!?“
Und auch wenn in der heutigen Zeit die Besessenheit nicht mit Verwandlung in ein Tier assoziert wird, sondern mit der Inbesitznahme des Körpers durch einen bösen Geist, so hat sich doch zumindest etwas noch nicht geändert:

Verhalten Menschen sich anders als von der Mehrheit erwartet, den gesellschaftlichen Vorstellungen zuwider oder auf für uns befremdliche und unerklärliche Weise, erfährt der Erfindungsreichtum des Menschen eine Beförderung in unendliche Weiten.
Der Serienmörder von nebenan, derjenige, der Dutzende Kinderseelen auf dem Gewissen hat, sei von Satan besessen. Schließlich wäre er immer so nett gewesen, so hilfsbereit. Nein, so ein Mensch sei kein Mörder. Das kann doch nicht sein.
Manch anderer bezweifelt vielleicht die Existenz des Teufels, also leidet der Mörder unter einer psychischen Krankheit, vielleicht Schizophrenie, vielleicht sogar unter einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Alles sehr klinische Ausdrücke. Damit lässt sich eine sachliche Diskussion führen über ein Thema, welches jeden emotional beschäftigt.
Für welches Erklärungsmodell man sich letztendlich auch entscheiden mag, Fakt bleibt, jeder wird versuchen, eine Erklärung zu finden für das Verhalten eines Menschen, welches uns als bestialisch oder einfach unbegreiflich erscheint. Darin besteht die Natur des Menschen. Denn Unerklärliches oder Dinge, die wir nicht begreifen können, machen dem Menschen Angst. Da ist es manchmal schon einfacher an den Teufel zu glauben oder den Menschen auf eine psychische Krankheit zu reduzieren, denn so hat man diese Menschen von der übrigen Menschheit abgekoppelt, sie in ein mentales Gehege gesteckt, wo man sie wie ein exotisches Tier im Zoo betrachten kann. Wo man jederzeit die Kontrolle hat. Und irgendwann (hoffentlich!) auch vergisst, dass der Fremde hinter dem Gehege noch immer ein Mensch ist. Dass Menschen, so unterschiedlich sie auf den ersten Blick auch sein mögen, sich gar nicht so sehr voneinander unterscheiden.

Quellen:
* Amorth, Gabriele, Exorzisten und Psyvhiater, Stein am Rhein: Christiana Verlag 2002.
* Ralph M., Becker, Trance und Geistbesessenheit im Candomblé von Bahia, Hamburg 1995.
* Freud, Sigmund, Zwei Fallberichte. Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia. Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrundert, Frankfurt am Main: Fischer 2007.