Montag, 29. Juni 2009

Die Dopplung des Vaters in „The Father-Thing“

Während der Diskussionsrunde über Einverleibung, Besessenheit und Kannibalismus in Philip K. Dicks Werken kam die Frage auf, warum es in der Kurzgeschichte „The Father-Thing“ zu einer Dopplung des Vaters kommt. Warum wird der Körper des Vaters kopiert und die Eingeweide vom "Father-Thing" einverleibt. Logischer wäre doch, die "Hülle" des Vaters zu übernehmen und ihn so zu ersetzen. Eine mögliche Erklärung wäre der von Rita schon kurz erwähnte Ödipuskonflikt, der in dieser Geschichte steckt.

Allgemein haben wir festgestellt, dass die Kurzgeschichte sehr glatt wirkt, eher wie ein Spiel der Kinder. Ihnen werden einzelne Aufgaben gestellt, die sie lösen müssen. So versuchen sie zum Beispiel das Wesen zu finden, das das Father-Thing kontrolliert. Dabei können sie ungestört den Rasen systematisch absuchen.
Auffällig ist auch, dass nur Kinder in die Ereignisse eingeweiht sind. Charles ist hier erst ein achtjähriger Junge, Bobby Daniels wird auf neun geschätzt und auch Tony Peretti scheint noch nicht volljährig zu sein. Zwar ist er wohl älter als die anderen beiden Jungen, da er wohl alt und stark genug sein muss, um jedes Kind in der Nachbarschaft schon verprügelt zu haben.
"A couple of times he had beaten up Charles; he had beaten up every kid in the neighborhood." i.

Dennoch scheint er jung genug zu sein, um vom Father-Thing für ein Kind gehalten zu werden, das eine Waffe als Spielzeug ansieht und das Bestrafung von seinem Vater zu erwarten hat.

"Put down that toy and get out of here. (...) No b.b. guns allowed in town, sonny. Your father know you have that?" ii.

Diese Geschichte wirkt daher eher wie eine Art Detektivroman für kleine Kinder, die sich keinem hohen Risiko aussetzten und nie in wirklich gefährliche Situationen kommen. Warum hat das Father-Thing eigentlich nicht gewartet, bis die anderen Larven auch geschlüpft sind? Seine Chancen gegen die drei Kinder wären damit enorm gestiegen und es hätte wohl nicht so "leicht" vernichtet werden können. Dieser Aspekt könnte dafür sprechen, dass es sich hier eher um eine kindliche Phantasievorstellung oder eine Art Märchen handelt.

Besonders Märchen sind im Zusammenhang mit dem ödipalen Konflikt sehr interessant. Wie Bruno Bettelheim in seinem Buch "Kinder brauchen Märchen" veranschaulicht, überwinden Kinder diese Krise meist, indem sie in Geschichten diese Phantasien ausleben.

Doch zunächst ein Zitat von Bettelheim, das den ödipalen Konflikt einmal genau beschreibt:

"In den Verwicklungen der ödipalen Krise grollt der Junge dem Vater, weil er ihm die ausschließliche Zuwendung der Mutter streitig macht. Der Junge will, die Mutter solle ihn als den größten Helden bewundern; dies bedeutet, daß er den Vater irgendwie aus dem Weg schaffen muß. Allerdings ist diese Vorstellung beängstigend; denn was würde mit der Familie geschehen, wenn der Vater nicht mehr da wäre, um sie zu beschützen und zu versorgen? Und wenn der Vater jemals merken würde, daß sein kleiner Junge ihn beseitigen möchte - würde er sich dann nicht furchtbar rächen?" iii.

Im Märchen übernimmt laut Bettelheim der Vater die Rolle des bösen Widersachers (z.B. in Form eines Drachen) und kann so ohne schlechtes Gewissen von dem Kind, das sich natürlich mit dem Helden identifiziert, umgebracht werden. Übersetzt auf die Kurzgeschichte bedeutet das, dass Charles hier seinen Vater durch ein unmenschliches außerirdisches Wesen ersetzt, das als böse angesehen wird und deswegen vernichtet werden muss (ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu empfinden).

Eine andere Form diese ödipale Phantasie auszuleben ist laut Bettelheim die Ablösung des ursprünglich "guten" Vaters durch einen bösen Stiefvater. (Obwohl diese Ablösung im Märchen meistens in der Rolle der Mutter bzw. Stiefmutter auftaucht.) In Dicks Geschichte findet sich auch dieses Motiv wieder: Das Father-Thing versucht wie ein Stiefvater die Rolle des Vaters im Familienalltag zu übernehmen. Diese Ablösung findet laut Bettelheim deswegen statt, damit das Kind den Vater offen hassen kann, ohne dafür mit Bestrafung rechnen zu müssen. Auch muss es hier die Bewunderung die das Kind für den Vater empfindet nicht aufgeben und der "gute"/ "richtige" Vater kann weiterhin als Vorbild fungieren.

Es ließe sich also die These aufstellen, dass es deswegen zu einer Doppelung des Vaters kommt, damit Charles seine ödipalen Phantasien ohne schlechtes Gewissen ausleben kann. Die Dopplung führt also einerseits zu Aufspaltung in einen "guten" und einen "schlechten" Vater und gibt dem Kind die Legitimation dem Wunsch nachzugehen seinen Vater zu töten. Andererseits wird der Vater auch durch einen nicht menschlichen wohl außerirdischen „Bösewicht“ ersetzt (im Märchen wäre das zum Beispiel ein Drache), wodurch das Kind ohne schlechtes Gewissen den „Vaterersatz“ hassen kann.

Quellen:
i. Dick, Philip K., „The Father-Thing“, The Philip K. Dick Reader, US: Citadel Twilight 2005, S. 104.
ii. ebd. S. 108.
iii. Bettelheim, Bruno, Kinder brauchen Märchen, München 2008, S. 129

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