Dienstag, 5. Mai 2009

Motive der Besessenheit in "The Father-Thing"

In Philipp K. Dicks Kurzgeschichte „The Father-Thing“ lassen sich vier wesentliche Themen und Formen der Besessenheit ausmachen:

1. Inkorporation

2. Kontrolle und Inbesitznahme von außen
3. die Begierde, etwas zu vernichten und dadurch die Welt zu retten
4. Angst vor Besessenheit

Im Folgenden wird auf diese Themen näher eingegangen:

ad 1) Inkorporation.

Ted, der Vater des Jungen Charles, verändert sich: wie Charles entdeckt, hat dies nichts mit seiner vielen Arbeit, sondern mit einem seltsamen Geschöpf zu tun, welches sich Teds Körper einverleibt, ihn gefressen hat. Zurück bleibt nur eine transparente Hülle. Diese Inkorporation bringt sozusagen jenes „father-thing“ hervor: ein schier undefinierbares Ding, welches den Anschein erweckt, der wirkliche Vater zu sein. Den Anschein deshalb, da es wahrscheinlich noch nicht lange genug den Körper des Vaters in Besitz genommen hat, um schon vollständig wie er zu denken und zu handeln, zu „funktionieren“.

In „Colony“ wechselt der Geist, der Charakter des „wub“ die Gestalt – er nistet sich im Körper des Captain ein. Jener Körper, dem nun der Geist fehlt, also das „wub“ selbst, wird getötet und mit ihm außerdem der Charakter des Captain. Dieser kann jedoch (wahrscheinlich) durch den Verzehr des toten „wub“, also durch eine erneute Inkorporation, in der Gestalt des Captain „weiterleben“.
Anders verläuft die Inkorporation in „The Father-Thing“: Der Körper wird gefressen und mit ihm auch der Charakter, - hier findet kein Tausch statt. Der Vater hat zwar auch die Gelegenheit, im „father-thing“ gewissermaßen weiterzuleben, aber nicht in seiner menschlichen, sondern in seiner, wenn man so will, larvenartigen Haut.

Ad 2) Kontrolle und Inbesitznahme von außen.

Wie später klar wird, kann das „Ding“ nicht alleine funktionieren. Es benötigt Hilfe von außen, was wiederum eine Art von Inbesitznahme oder Kontrolle des Körpers darstellt. In diesem Fall wird das „father-thing“ von einem Insekt gesteuert. Ohne seine Hilfe sackt das „father-thing“ in sich zusammen, beschrieben, als Charles’ Mutter den Raum verlässt.
Dieses Insekt wird im Originaltext als „bug“ bezeichnet, was man mit „Wanze“ übersetzen kann. Als Wanzen werden bekanntlich kleine Geräte zur unbemerkten Abhörung oder Überwachung von Menschen bezeichnet. Dies impliziert erneut eine Form von Inbesitznahme: nämlich das (unfreiwillige) Teilen bzw. Nehmen von Informationen und Gedanken, das Besitzergreifen eines fremden Körpers und seines Gehirnes. Dabei ist jedoch zu unterscheiden zwischen der unfreiwilligen Kontrolle eines Menschen und jener, die vonnöten ist, damit der Mensch existieren kann – das Prinzip ist allerdings in etwa das gleiche.

Ad 3) Begierde, etwas zu vernichten und dadurch die Welt zu retten.

Charles und seine beiden Freunde sind davon überzeugt, die Ursache für das „father-thing“ finden und vernichten zu müssen. Damit können sie verhindern, dass weitere Larven, die von der Wanze gelegt werden, wachsen und weitere Körper (und deren Geister) in Besitz nehmen können. Die drei handeln also zunächst aus dem puren Verlangen, etwas zu vernichten, was ihnen gefährlich erscheint und schließlich aus Überlebenswillen, als sie begreifen, dass sie selbst eines Tages von den Larven gefressen werden könnten. Man kann dieses Agieren auch darauf zurückführen, dass es unbedingt zu verhindern gilt, dass die Wanze, mithilfe ihrer Larven, die Menschheit vernichtet und ihren Platz, ihre Körper und ihren Lebensraum, einnimmt, sich einverleibt.

Ad 4) Angst vor Besessenheit.
„It seemed impossible, the father-thing and what had happened to his own father, his real father. But terror spurred him on, what if it happened to his mother, or to him? Or to everyone? Maybe the whole world.“ i.
So beschreibt Dick die absolut menschliche Angst davor, von etwas besessen zu sein, das weder kontrollierbar noch abzuwehren ist, einen sogar auf grausame Weise das Leben kosten kann.
Um die Gedanken zu diesem Thema weiterzuspinnen, könnte man sogar den Angstzustand an sich als eine Art von Besessenheit bezeichnen. Denn Angst ist ein Gefühl, man ist besorgt um das, was passieren wird. Man beschäftigt sich mit seinen Ängsten und wahrscheinlich ruft erst die Auseinandersetzung damit die eigentlichen Angstzustände, die Gefühle, hervor. Das Gehirn eines Menschen ist demnach besessen, vereinnahmt von den Gedanken an etwas, das ihn verängstigt. Folglich wäre also die Angst davor, besessen zu sein / besetzt zu werden (sei es physische oder psychische Besessenheit) schon als Besessenheit zu bezeichnen.
Damit ist wieder das Thema von Punkt 3) erreicht: Aus Angst, besessen zu sein und um sich davor zu schützen, tritt der Drang zur Vernichtung hervor.

Anzumerken ist schließlich das Auftreten eines (etwas abgewandelten) Ödipuskonfliktes bei Charles: Er sieht seinen Vater, bzw. das „father-thing“ als Konkurrenten an und hat den Drang (ist von dem Gedanken besessen), ihn zu vernichten und seine Mutter, als reale Mutter und nicht als „mother-thing“, für sich zu haben.

i. Dick, Philip K., „The Father-Thing“, The Philip K. Dick Reader, US: Citadel Twilight 2005, S. 107.

2 Kommentare:

  1. Ich finde den Artikel gut, allerdings bei einer Sache würde ich was weiter gehen. Du schreibst, dass die Angst sozusagen das Gehirn in Besitz nimmt und man vom Gedanken der Angst infolgedessen besessen ist. Ich glaube, dass es eigentlich egal ist, von welchem Gefühl man spricht, es kommt lediglich auf die Stärke an. Man kann "besessen" sein von Liebe, Hass, Trauer und anderen Emotionen, Angst ist nur eine von ihnen. Klar, auf die Kurgeschichte gemünzt ist die Angst vor dem father-thing natürlich richtig, aber allgemein gesehen gilt das - finde ich - für alle. Allerdings vielleicht auch immer im Zusammenhang mit einer verstärkten Egozentrik...?

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  2. Allerdings schreitet man auch hier auf einem schmalen Pfad, denn ab wann "darf" man von einem Menschen als bessessen sprechen? Gefühle haben wir alle, und nicht selten erscheinen uns unsere Emotionen so stark, dass man sie für unüberwindbar hält, also an Stärke nicht zu übertreffen. Nehmen wir als Beispiel nur einmal den Tod eines geliebten Menschen her, man möchte da schon einmal von "wahnsinnig" vor Trauer sprechen und dennoch würde niemand behaupten, der Trauernde sei tatsächlich bessessen. Denn Gefühle machen uns erst menschlich, würde unsere Gefühlswelt nicht stark, sondern vielmehr abgeflacht oder zumindest immer gleich intensiv erscheinen, nun, so würde zumindest ich das keinesfalls als Emotion bezeichnen.
    Andererseits lässt die heutzutage häufig anzutreffende Thematik des "Stalkers", den wahrscheinlich doch die meisten als bessessen (von etwas oder jemandem) bezeichnen würden, Zweifel an obigen Erläuterungen zu. Der Stalker hegt ebenso Gefühle wie jeder andere Mensch auch, und ich wage einmal die Behauptung, dass diese Gefühle sich an Intensität nicht unterscheiden. Wo liegt dann also der Unterschied? Warum gilt der Stalker als bessessen, während dem angsterfüllten Menschen, der gerade von einer Klippe fällt, niemals diese Beschreibung zukommen würde?
    Liegt es möglicherweise daran, dass wir die Gefühle des Stalkers als unpassend, als der Situation unangemessen und übertrieben empfinden? Dann entsteht natürlich wiederum die Frage, wann und ob überhaupt man Gefühle als unpassend beschreiben darf. Denn, gleichgültig ob uns die auf das Objekt/ Subjekt bezogenen Emotionen als unangemessen erscheinen, dem Fühlenden erscheinen sie ohne Zweifel als wahrhaftig und echt.

    Und insofern ist es möglicherweise problematisch, von Besessenheit zu sprechen, wenn man vor lauter Angst das "father thing" auslöschen will. Denn es ist eine existentielle Angst, die Angst selbst ausgelöscht zu werden, so gesehen ein Kampf ums reine Überleben. Natürlich könnte man also sagen, dass der Sohn von dem Gedanken besessen ist, das "father thing" zu töten. Wäre ich auch. Und wahrscheinlich jeder andere, der nicht gerade selbstmordgefährdet ist. Wobei ich sogar da meine Zweifel habe, denn man wird schließlich nicht einfach getötet, sondern ersetzt, was wahrscheinlich noch schlimmer ist, denn wem gefällt schon der Gedanke jederzeit ersetzbar, austauschbar zu sein, also in jeder Hinsicht unwichtig?
    Hinter dieser "Besessenheit" steckt also etwas ganz anderes, nicht nur die Angst, zu sterben, sondern die Austauschbarkeit des eigenen Individuums. Die Befürchtung, nicht mehr zu sein, als eine entsorgte Plastikflasche, welche nicht recycled sondern einfach von einer anderen ersetzt wird. Welche Bedeutung kommt uns als Individuen dann zu? Nun, sie wäre wohl verschwindend gering.
    Besessenheit ist daher vielleicht mehr ein Symptom als die Krankheit selbst...Ein Symptom für das Geltungsbedürfnis jedes Einzelnen, dafür bedeutsam zu sein und nicht nur eine zukünftig verfaulte und irgendwann vergessene Hülle...

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