Religiöse und mythische Motive der Besessenheit
„Es ist das Herz des Fleisches, das Fleisch im Reinzustand, und wer es zu sich nimmt, assimiliert die Kräfte des Rindes" i.
Nach dem Captain Franco das Fleisch des von ihm erschossenen Wobbs am Ende der Kurzgeschichte Und jenseits – das Wobb verzehrt hat, scheint es, als sei durch diese Nahrungsaufnahme der Geist des Wobbs in den Körper des Captains gewandert, als sei Francos Physis nun von einer fremden Psyche besessen, denn der Captain möchte mit den Ausführungen über Odysseus fortfahren, die das Wobb zuvor begonnen hatte:
Doch wie könnte die von Dick präsentierte Vorstellung, dass die Besessenheit eines Körpers durch einen fremden Geist mittels des Verzehrs des fremden Körpers erfolgt, tatsächlich vor sich gehen? Mögliche Erklärungen lassen sich in christlichen und jüdischen Lehren wiederfinden. Dabei basieren die religiös-mythischen Erklärungen auf vier Begriffen: Fleisch, Blut, Wein, Brot. Drei von diesen Begriffen finden sich in der Schlusssequenz von Dicks Geschichte, denn der Captain verspeist das Fleisch des Wobbs, etwas Brot und trinkt Wein:
Scheinbar fehlt das Blut. Doch dass der Eindruck täuscht, wird klar, sobald man die jüdischen Richtlinien für die Nahrungsaufnahme in die Betrachtung miteinbezieht.
„'Wie ich bereits sagte, bevor ich unterbrochen wurde: die Rolle des Odysseus in den Mythen' “ ii.
1. „'Ein Stück Fleisch? Oder noch etwas Wein?' “
2. „Er aß und tunkte etwas Brot in die Soße“iii.
Das Schächten im Judentum
Das Kaschrut, das jüdische Regelwerk über reine und unreine Nahrungsmittel, erkennt nur geschächtetes Fleisch als rein an. Das Schächten wiederum ist die jüdische Art ein Tier zu schlachten, bei der mit einer hyperscharfen Klinge die Kehle durchtrennt wird. Wichtig ist, dass das Schächten die einzige Tötungsart ist, bei der das Blut sofort vollständig ausrinnt und nicht in das Fleisch eindringt. iv. Somit steht fest, dass das Fleisch, das Franco zu sich nimmt, von Blut durchtränkt ist, denn er erschießt das Wobb:
Geht man von der jüdischen Vorstellung aus, das Blut sei der Sitz der Seele, kann man zur Hypothese gelangen, dass die „Seele“ des Wobbs Francos Körper auf eine Art und Weise besetzt, die zu einem sehr großen Teil den Richtlinien des Kaschrut entspricht: Da das Wobb nicht geschächtet wurde, ist sein Blut und damit auch seine Seele im Fleisch, das Franco isst und kann somit auch in den Blutkreislauf des Captains gelangen.
Doch die Vorstellung, das Blut sei die Ursache für die Zirkulation fremder Eigenschaften in einem Körper, ist nicht nur am jüdischen Glauben festzumachen.
Das Kaschrut, das jüdische Regelwerk über reine und unreine Nahrungsmittel, erkennt nur geschächtetes Fleisch als rein an. Das Schächten wiederum ist die jüdische Art ein Tier zu schlachten, bei der mit einer hyperscharfen Klinge die Kehle durchtrennt wird. Wichtig ist, dass das Schächten die einzige Tötungsart ist, bei der das Blut sofort vollständig ausrinnt und nicht in das Fleisch eindringt. iv. Somit steht fest, dass das Fleisch, das Franco zu sich nimmt, von Blut durchtränkt ist, denn er erschießt das Wobb:
"Er sah dem Wobb starr in die feuchten, funkelnden Augen – und drückte ab.“ v.Viel entscheidender ist jedoch eine andere Vorstellung des jüdischen Glaubens, und zwar die Lokalisation der Seele im Blut.
Geht man von der jüdischen Vorstellung aus, das Blut sei der Sitz der Seele, kann man zur Hypothese gelangen, dass die „Seele“ des Wobbs Francos Körper auf eine Art und Weise besetzt, die zu einem sehr großen Teil den Richtlinien des Kaschrut entspricht: Da das Wobb nicht geschächtet wurde, ist sein Blut und damit auch seine Seele im Fleisch, das Franco isst und kann somit auch in den Blutkreislauf des Captains gelangen.
Doch die Vorstellung, das Blut sei die Ursache für die Zirkulation fremder Eigenschaften in einem Körper, ist nicht nur am jüdischen Glauben festzumachen.
Roland Barthes Die Mythen des Alltags
Wie der Wein ist das Beefsteak in Frankreich ein Grundelement und mehr noch nationalisiert als sozialisiert.“ vi.Gründe, die Barthes für die Besessenheit mit diesem Stück Fleisch anführt haben das Prinzip der Blutzirkulation durchaus zur Basis:
„Man kann sich das antike Ambrosia gut von einer solchen Art schwerer Materie vorstellen, die unter den Zähnen sich auf eine Weise mindert, das man zugleich seine ursprüngliche Kraft und seine Fähigkeit zur Verwandlung und zum Sichergießen in das Blut des Menschen spürt. Das Bluthafte ist der Daseinsgrund des Beefsteaks,[...]“ vii.Mit dieser Feststellung beleuchtet Barthes die Tatsache, dass auch in unserem Alltag die Vorstellung von der Übertragung der Eigenschaften eines Tieres in den menschlichen Körper durch das blutige Fleisch existent ist und untermauert die annahme, dass die Eigenschaften des Wobbs wie Gleichmut, Liebe zum Diskutieren und Philosophieren durch sein Blut den Körper des Captain besetzt haben könnten.
„Das Beefsteak gehört zur selben Blutmythologie wie der Wein.“ viii.Dieses Zitat aus Barthes Beefsteak-Mythos verbindet den Blutbegriff mit einem weiteren Symbol der Dickschen Kurzgeschichte, das in zahlreichen Diskursen des Christentums Niederschlag findet: Der Wein.
„Anstelle des real auf dem Tisch liegenden Pscha-Opferfleisches reicht Jesus unter Brot- und Weingestalt sich selbst als das neue Paschaopfer (Fleisch und Blut), [...]“ ix.Doch wie soll nun die Wirkung der Eucharistie, des Überreichens von Brot und Wein an Gläubige in der Kirche verstanden werden? Was passiert mit dem Leib und dem Blut Christi?
„[...], wonach Eucharistie besonders die Begierlichkeit des Fleisches schwächt und Anteil an Verklärung gibt.“ x.Nun trinkt auch Franco Wein, isst Brot und scheint nach diesem Mahl endlich seine Besessenheit, sein Verlangen nach dem Fleisch des Wobbs endlich überwunden zu haben und wird in Kombination mit dem Einnisten der Seele Wobbs in seinen Körper zu einem ähnlich gesellig-harmlosen Konsorten wie das Wobb in dem er – ganz in Wobb-Manier - plötzlich meint:
. „Lassen sie uns ein wenig diskutieren.“ xi
„' [...] zum Aufhören der Sünde, zur Ertötung der Leidenschaften...Denn da Christus nach der Schrift eine neue Kreatur ist, nehmen wir ihn mittels seines heiligen Fleisches und Blutes in uns auf, damit wir, zur Erneuerung des Lebens umgewandelt, durch ihn und in ihm den alten Menschen ablegen.' “ xii.Im Vergleich mit der Dickschen Kurzgeschichte könnte man die These aufstellen, dass durch die Aufnahme von Brot und Wein der Captain wie bei der Eucharistie von seiner Besessenheit nach dem Wobb-Fleisch geheilt wird und sein altes Ich zugunsten des neuen Ichs ablegt (oder ablegen muss).
Baudelaire, Binsfield, Belzebub
“Sei was du willst, schwarze Nacht, rotes Frühlicht; da ist keine Fiber an meinem ganzen zitternden Leibe, die nicht riefe: 'O mein teurer Belzebub, dich bete ich an!' “ xiii.Tractat von Bekanntnuß der Zauberer und Hexen. Ob und wie viel denselben zu glauben von Peter Binsfeld (1545-1589), der 1580 zum Bischof von Trier wurde, in welcher er eine Klassifikation der Dämonen vornimmt und jedem Dämon eine der sieben Todsünden zuordnet. Bei dieser Zuordnung steht Belzebub für die Sünde der Völlerei. xiv
Quellen:
i. Barthes, Roland, Mythen des Alltags, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1964, S. 36.
ii. Dick, Philip K., „Und jenseits – das Wobb“, Der unmögliche Planet. Stories, München: Heyne 2002, S. 32.
iii. Ebd., S. 31-32.
iv. Vgl. Spiegel, Paul, Was ist koscher? Jüdischer Glaube – jüdisches Leben, München: Ullstein 2000; S. 184.
v. Dick, „Und jenseits – das Wobb“, Der unmögliche Planet, S. 31.
vi. Barthes, Mythen des Alltags, S. 37.
vii. Ebd., S. 36.
viii. Ebd.
ix. Auer, Johann, Allgemeine Sakramentenlehre und das Mysterium der Eucharistie, Regensburg: Pustet 1971, S. 167.
x. Ebd., S. 261.
xi. Dick, „Und jenseits – das Wobb“, Der unmögliche Planet. S. 32.
xii. Auer, Allgemeine Sakramentenlehre, S. 262.
xiii. Baudelaire, Charles, „Der Besessene“, Die Blumen des Bösen, München: dtv 2004, S. 79.
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